Agraringeneurin Andrea Knierim forscht zu landwirtschaftlichen Wissens- und Innovationssystemen. Ihrer Erfahrung nach ist die bestehende Innovationsförderung für die Landwirtschaft vielversprechend, jedoch müsste der Transfer von Erfahrung aus der Praxis effizienter in Ausbildung und Beratung zurückgetragen werden.

Die Fragen der Landwirte müssen ernst genommen werden

Die viele Ideen und Experimente müssten um eine bessere Beratung ergänzt werden

Andrea Knierim ist Diplom-Agraringeneurin und leitet an der Universität Hohenheim das Fachgebiet Ländliche Soziologie. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Landwirtschaftliche Beratung sowie Wissens- und Innovationssysteme im Ländlichen Raum sowie interdisziplinäre Ansätze in der Agrarlandforschung.

  • Wie innovativ ist die Landwirtschaft?
  • Das Wort "innovativ" beschreibt eine Haltung, bei der ein Mensch grundsätzlich offen und neugierig gegenüber Neuem ist bzw. selbst aktiv nach neuen, besseren Lösungen für ein Problem sucht und dabei auch bereit ist, ein Risiko einzugehen. Wenn eine Technologie als ‚innovativ‘ bezeichnet wird, gibt dies erst einmal keine Aussage darüber, was für eine Qualität diese Lösung bietet. Also ob hier ökologische und soziale Kriterien eine Rolle spielen oder ob die Technologie zu mehr Nachhaltigkeit beiträgt. Innovation setzt sich allerdings erst dann durch, wenn sie mindestens ökonomisch tragfähig ist.

    In diesem Sinn ist "die Landwirtschaft" in Deutschland innovativ: Viele Landwirte arbeiten an neuen Lösungen für Probleme, auf die sie in ihren Betrieben stoßen bzw. übernehmen Neuerungen, um diese Probleme zu lösen. In einer unserer Forschungsumfragen haben 75% der Landwirte angegeben, im kleinen Maßstab "zu experimentieren" — zum Beispiel mit Sorten, mit Fruchtwechseln, mit der Technik oder mit Bodenbearbeitungsverfahren.

  • Wie lässt sich die Skepsis der Landwirte gegenüber der Digitalisierung abbauen?

  • Die Fragen, die die Landwirte im Hinblick auf die Digitalisierung haben, müssen ernst genommen werden. Beispielsweise die Frage des Kosten-Nutzen-Verhältnisses, aber auch der Integration von solchen Neuerungen in den Betriebsablauf, sowie der Auswertung und des Umgangs mit digitalen Daten. Den von uns befragten Landwirten ist auch nicht klar, ob und wie gut "Smart Farming"-Technologien Lösungen für die von ihnen wahrgenommenen Probleme und Herausforderungen bieten.

    Die Herausforderungen stellen sich für die Landwirte klar dar, zum Beispiel Fragen zu den ökologischen Konsequenzen von Maßnahmen: Wie bringe ich Düngemittel exakt in der richtigen Menge aus? Wann ist es sinnvoll, wo zu hacken? Wann ist der beste Zeitpunkt, gegen Pflanzenkrankheiten zu spritzen, und sollte das flächendeckend oder punktuell geschehen?

    Dass digitale Produkte da eine Lösung bieten, ist für viele Landwirten so nicht klar. Privatwirtschaftliche Unternehmen bieten inzwischen vielfältige digitale Produkte an (von Apps über sensor- und dronengestützte Datenerhebungen und integrierte Betriebsmanagementsysteme bis hin zu automatisierter, selbstfahrender Technik) und setzen darauf, dass potenzielle Kunden eigenständig den Nutzen erkennen. Das scheint nicht zu funktionieren, viele dieser Innovationen werden bisher nicht angenommen.

    Gleichzeitig sieht es so aus, dass die ‚Beratungsnische‘ zu möglichen Vorteilen der Digitalisierung bisher unternehmerisch nicht wahrgenommen wird, und die überzeugenden Informationen fehlen. Sind die technologischen Vorteile oder ‚Digitalisierungsgewinne‘ nicht ausreichend groß bzw. wirtschaftlich profitabel genug für Initiativen privatwirtschaftlicher Beratungsunternehmen? Das wären Fragen, die ein Maschinenring übernehmen könnte, um zu überlegen welchen Mehrwert sie für ihre Klienten generieren können.

  • WVor welchen Herausforderungen steht die Landwirtschaft, um Zugang zu innovativer Technologie zu erhalten?

  • Die von uns befragten Landwirte sind interessiert an technologischen Neuerungen: Sie informieren sich über private Berater, das Internet, andere Landwirte und Firmen.

    Der Einführung und Anwendung von digitalen Technologien – auch "Smart Farming"-Technologien genannt – stehen vier Hemmnisse entgegen. Zunächst muss der Zugang zu den Technologien (Informationen, Kosten, Konnektivität) verbessert werden. Wenn für den Landwirt der erwartete Nutzen zu klein oder zu unsicher ist, wird er/sie die Neuerung nicht übernehmen. Dann sind die Systeme oft in sich komplex und nicht aus einzelnen Komponenten modular zusammensetzbar, so dass deren Anpassung an die jeweiligen Bedingungen des Betriebs und die Nutzungsweisen, die der Landwirt bevorzugt eine weitere Herausforderung darstellt. Hier gibt es keine allgemeingültige Lösung, sondern die Innovation muss betriebsspezifisch angepasst werden. Drittens muss bei modularen Systemen die Zuverlässigkeit und die gute (einfache) Handhabung einzelner Komponenten gesichert sein und deren vielseitige Anwendbarkeit z.B. in unterschiedlichen Anbauverfahren etc. Zuletzt stellen sich auch Fragen der Datensicherheit, des Datentransfers und der Umsetzung der gewonnenen Informationen in Entscheidungshilfen.

  • Wie kann Innovation in der Landwirtschaft unterstützt werden?

  • Die Europäische Innovationspartnerschaft "landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit" (EIP Agri) ist ein Instrument der Gemeinsamen Agrarpolitik in der EU, mit dem Innovationen in der Landwirtschaft gefördert werden. Hier werden ein politischer Rahmen für Fördermaßnahmen und eine Informationsplattform angeboten, mittels derer kollaborative Netzwerke aus Forschung, Landwirtschaft und Privatwirtschaft zur Entwicklung und Erprobung von Innovationen gebildet werden. Die Mitgliedsstaaten und in Deutschland die Bundesländer entwickeln im Rahmen der Programme zur ländlichen Entwicklung ein entsprechendes Instrument bzw. haben dies bereits getan (beispielsweise Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein). Außerdem hat auch die Bundesregierung ein Innovationsprogramm Landwirtschaft aufgelegt, mittels dessen aktuell Innovationen im Lebensmittelhandwerk gefördert werden.

  • Wie wirksam sind in dem Zusammenhang politische Instrumente Ihrer Einschätzung nach?

  • Das EIP Agri und die in diesem Rahmen angelaufene Förderung von Operationellen Gruppen scheint mit recht wirksam – in einer ganzen Reihe von Bundesländern haben sich schon viele Innovationsnetzwerke gebildet. Das kann auf der Website der Deutschen Vernetzungsstelle für Ländliche Räume nachvollzogen werden.

    Die bestehende Innovationsförderung scheint mir sehr vielversprechend und sie motiviert – soweit ich das einschätzen kann – viele verschiedene Akteure in Deutschland dazu, Aktivitäten zu entwickeln und in die Praxis zu tragen. Die Frage ist, wie die Ergebnisse und Erkenntnisse in die Breite getragen werden. An den Operationellen Gruppen können in der Regel immer nur eine kleine Auswahl von Landwirten teilnehmen und es ist nicht gesichert, dass die Ergebnisse, die da entstehen, in die Beratung oder die Ausbildung in den grünen Berufen zurückgetragen werden. Das wäre ein Punkt, den man mehr in den Vordergrund rücken könnte.

  • Warum braucht Landwirtschaft Innovation? Wieso kann nicht alles so bleiben „wie früher“?

  • Die Rahmenbedingungen der landwirtschaftlichen Produktion verändern sich laufend, das betrifft sowohl die globalen Märkte für Nahrungsmittel als auch die Produkte und Preise des vorgelagerten Bereichs (also Saatgut, Düngemittel, Agrartechnik, Pflanzenschutz etc.) sowie die gesellschaftlichen Erwartungen und die Nachfrage der Konsumentinnen und Konsumenten. Auf Deutschland bezogen haben wir eine kontinuierliche Ausdifferenzierung der Nachfrage, d.h. Verbraucherinnen und Verbraucher wie auch Bürgerinnen und Bürger entwickeln vielfältige Erwartungen und Anforderungen an die Nahrungsmittel und an deren Herstellungsweisen. An diesen externen Faktoren orientieren sich Landwirte in unterschiedlicher Weise und realisieren entsprechende betriebliche Anpassung durch die Entwicklung bzw. die Übernahme von Innovationen.

  • Smart- und Precision-Farming sind zwei der Schlagworte im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Landwirtschaft. Sind das Konzepte von denen im Prinzip jeder Landwirt profitieren kann oder eignen sich nur bestimmte Betriebe für diese Technologie?

  • Beide Konzepte umreißen ein großes Feld von Technologien und digitalen Anwendungen. Ob und wie solche Instrumente in einem landwirtschaftlichen Betrieb Anwendung finden, hängt etwa davon ab, welche Informations- und Automatisierungswünsche der Landwirt hat und wie viel Geld er/sie dafür einsetzen kann und möchte. Dieser Kosten-Nutzen-Rahmen hängt beim flächenbezogenen Technologieeinsatz unter anderem mit den Umsätzen und Gewinnen zusammen, die pro Hektar gemacht werden. Das heißt in spezialisierten Betriebe mit hohen Flächenerträgen oder in großen Betrieben, die Skaleneffekte nutzen können, lassen sich unter Umständen mehr Vorteile durch „Smart Farming“-Technologien realisieren als in kleineren oder in Gemischtbetrieben. Das hängt aber sehr davon ab, wie diese Technologien auf die Interessen und Bedürfnisse unterschiedlicher Praktiker zugeschnitten werden. Einen weiteren Einfluss haben andere Akteure entlang der Wertschöpfungskette: wenn Akteure in der Weiterverarbeitung oder im Handel in Zukunft Transparenz beispielsweise über Produktionsverfahren oder bestimmte Herkunftsdaten digital abrufen möchten, könnte dies entsprechende Innovationsübernahmen bei Landwirten induzieren, die in eine solche Wertschöpfungskette eingebunden sind.

  • Nachdem zunächst Betriebe und Produktion aufgrund hoher Nachfrage immer größer wurden, begann in den letzten Jahren der Gegentrend hin zu Bio und Öko und dem wachsenden Verbraucherwunsch, regionale Produkte und von Familienbetrieben zu kaufen. Wenn die Digitalisierung der Landwirtschaft zunimmt, glauben Sie dass wir auch hier eine Gegenbewegung sehen werden, bei der der Verbraucher „traditionelle Handarbeit“ fordert?

  • Ja, ich denke, die landwirtschaftlichen Produktionsformen werden sich weiter ausdifferenzieren und unterschiedliche Verbrauchergruppen werden nicht nur nach Produktqualität, sondern auch nach Herstellungsweisen und –bedingungen fragen und diese gezielt einfordern.