Während Landwirte ihre Felder beackern, Wiesen mähen oder die Kühe melken, „ernten“ sie auch jede Menge Daten über ihren Betrieb. Dr. Ewald Wessling, Experte für digitalen Wandel, erzählt, wie wertvoll diese Daten wirklich sind, wie Landwirte sie am besten vermarkten und warum Digitalisierung nur im Verbund funktionieren kann.
Datenernte
Das neue Gold
- Können sich Landwirte heute noch vor der Digitalisierung verschließen?
Nein, der digitale Wandel betrifft jeden. Die Frage ist nur, wann, wie stark und mit welchen Konsequenzen. Das ist ähnlich wie mit der Elektrifizierung vor über 100 Jahren, auch da musste jede Branche mitziehen. Wenn das in einer Branche nicht durch die dortigen Unternehmen selbst passiert, dann machen es eben andere Unternehmen. Das ist typisch für disruptiven Wandel.
Was bedeutet disruptiver Wandel?
Das heißt, dass eine neue Technologie, wie die Digitalisierung, die bestehenden Arbeitsprozesse nicht einfach nur verbessert, also dass ein Trecker schneller fährt oder die Aussaat genauer wird, sondern dass die Digitalisierung diese Prozesse insgesamt komplett verändert. Auf diesen digitalen Wandel muss sich jede Branche einstellen, auch die Landwirtschaft.
Wird das der Landwirtschaft schwerer fallen als anderen Wirtschaftszweigen?
Nein, im Gegenteil, und zwar aus drei Gründen: Erstens ist die Landwirtschaft ja seit der Industrialisierung ständig einem technologischen Wandel unterzogen. Landwirte wissen, dass sie durch moderne Maschinen, durch mehr Automatisierung, schneller und besser produzieren können. Sie wissen, dass sie sich neuen Begebenheiten stellen müssen. Andere Branchen haben viel mehr Probleme damit, sie machen seit Jahrzehnten das gleiche und sind von neuen, disruptiven Technologien völlig überfordert. Zweitens tun sich etablierte Branchen ungemein schwer mit der drastischen Veränderung der Arbeit und dem Verlust von Arbeitsplätzen, die der digitale Wandel mit sich bringt. In der Landwirtschaft fällt das auch nicht leicht, aber hier ist es im Grunde ein seit Generationen stetiger Prozess. Und drittens haben Landwirte auch bei der im digitalen Wandel notwendigen Vernetzung einen Vorteil gegenüber anderen Branchen. Sie leben den genossenschaftlichen Gedanken, also „Was einer nicht schafft, das schaffen viele“, bereits an vielen Stellen, zum Beispiel auch in den Maschinenringen. In anderen Branchen gehen manche Unternehmen lieber zusammen mit ihren Konkurrenten unter, anstatt sich mit ihnen gegen eine Gefahr von außen zu verbünden.
Was sind die größten Chancen der Digitalisierung für die Landwirtschaft?
Den größten Vorteil bringt meiner Meinung nach die auf Datenanalysen aufbauende künstliche Intelligenz. Als Verbraucher kennen wir dieses Prinzip aus Amazons „Leute, die dieses Buch gekauft haben, kaufen auch diese Bücher...“ oder aus Googles Suchergebnissen, die heute nicht nur meiner Person angepasst werden, sondern auch meinem Standort oder den Geräten, die ich benutze. Auch alle Arbeitsprozesse in der Landwirtschaft können so verfeinert und verbessert werden: Felder können auf den Quadratmeter genau analysiert und effizienter beackert werden, Kühe können individuell versorgt und gemolken werden. Über Kameras und Software kann bald praktisch jeder einzelne Halm auf dem Feld identifiziert und individuell gemessen und gepflegt werden.
Grundvoraussetzung für die Digitalisierung sind also Daten?
Ja, in der Landwirtschaft ist es im Prinzip wie in jeder anderen Branche auch: Wenn ich im Internet Geschäfte machen will, kann ich das letztendlich nur mit Daten. Es heißt nicht ohne Grund, dass Daten das neue Öl sind. Jeder Landwirt verfügt theoretisch über eine unglaublich große Menge an Daten. Aber diese muss er zunächst einmal sammeln und dann verarbeiten. Zum einen nützen ihm diese Daten für das eigene Unternehmen, zum Beispiel, um zu wissen, wie viel Milch eine bestimmte Kuh durchschnittlich gibt. Zum anderen werden die Daten, die er „erntet“, in der Vernetzung mit ähnlichen Daten anderer Landwirte für immer mehr außenstehende Unternehmen immer wertvoller. Und genau hier sollte der Landwirt vorsichtig sein.
Was meinen Sie damit?
Viele Unternehmen stehen heute schon vor den Pforten der Landwirte und wollen von ihren Daten profitieren. Die Landwirte müssen erkennen, wie wertvoll diese Daten sind, die sie bisher vielleicht unbewusst „miternten“. Die Gefahr besteht, dass ein einzelner Betrieb diese Daten zu günstig an Dritte hergibt. Denn wirklich wertvoll werden die Daten erst, wenn sie in einem Verbund gesammelt, organisiert und verwertet werden.
Warum werden die Daten dadurch wertvoller?
Um das zu verstehen, muss man nur einen Blick auf Amazon oder Google werfen. Sie interessiert nicht, was ein Einzelner kauft oder wonach er sucht. Sie brauchen riesige Datenmengen von ganz vielen Nutzern und entwickeln daraus Algorithmen, um das Verhalten vieler anderer Nutzer voraussagen zu können. Und je mehr Daten zur Verfügung stehen, umso besser lassen sich über sogenannte Big-Data-Analysen Empfehlungen ableiten. Der Fahrdienst Uber kann bei 70 Prozent der dort vermittelten Autofahrten vorhersagen, wohin der Kunde fahren möchte. Facebook sagt mit über 85 Prozent Wahrscheinlichkeit vorher, ob sich ein Paar in den nächsten zwei Wochen trennen wird, und Amazon arbeitet heute daran, Bücher zu versenden, bevor der Kunde sie bestellt hat. Dazu analysieren die Unternehmen immer riesigere Datenmengen, zu denen jeder Einzelne nur einen scheinbar unbedeutenden Anteil beiträgt.
Wie kann das auf die Landwirtschaft übertragen werden?
Wenn viele Landwirte ihre Daten zusammentragen, kann beispielsweise eingeschätzt werden, wie viel Milch eine Kuh gibt, die ein bestimmtes Futter bekommen hat, ein bestimmtes Gewicht oder eine gewisse Körpertemperatur hat und so weiter. Das Gleiche kann auf ein Feld übertragen werden. Felder haben unter folgenden Wetterbedingungen, mit diesem Düngemittel und mit so viel Wasser so und so viel Ertrag gebracht. Das passiert heute ja schon.
Hat die Digitalisierung auch Risiken?
Das größte Risiko ist, sich der Digitalisierung entziehen zu wollen. Je später ein Betrieb loslegt, umso mehr Schwierigkeiten wird er haben und umso teurer wird es dann. Die Risiken, beispielsweise hinsichtlich Datenmissbrauchs, sind natürlich zu beachten. Ich halte diese Risiken aber für überschaubar und bin davon überzeugt, dass sie im Lauf der Zeit vielleicht zunächst unterschätzt, dann aber erkannt werden und in den Griff zu bekommen sind. Gefährlicher ist es dagegen, wenn der disruptive Wandel in der Landwirtschaft von außen getrieben und gesteuert wird, beispielsweise von multinationalen Saatgut- oder Landmaschinenherstellern. Dann kann es kommen wie in der Musikindustrie, wo nicht die Musiklabels iTunes erfunden haben, sondern Apple, ein Computerhersteller. Deshalb sollten Landwirte ihre Daten nicht einfach an externe Firmen hergeben, sondern sich im Verbund aufstellen und Strategien überlegen, wie sie ihre Daten zusammenführen, sie möglichen Interessenten zur Auswertung anbieten und dabei sicherstellen, dass die Daten langfristig ihnen selbst gehören.
Nun gibt es aber viele, die Angst vor der Digitalisierung haben.
Das stimmt, dabei kann auch ein Verbund, wie beispielsweise der Maschinenring, nützlich sein. Solche Zusammenschlüsse helfen, Menschen die Angst davor zu nehmen und unterstützen sie bei der Umsetzung neuer Technologien. Der Maschinenring hat auch den Vorteil, dass er bereits organisiert ist und die Bauern dadurch schon vernetzt sind. Bei der Digitalisierung ist wichtig, dass die Betriebe untereinander in Kontakt stehen, denn der einzelne Landwirt hat weder die Kraft, noch die Fähigkeit, seine Daten optimal auszunutzen. Das schafft er nur im Verbund.
Welche digitalen Veränderungen stehen der Landwirtschaft noch bevor?
Die Schwelle zur künstlichen Intelligenz wurde gerade erst überschritten. Wir befinden uns im digitalen Wandel noch ganz am Anfang. Computer-Algorithmen wissen heute schon vieles besser über uns als wir selbst es tun. Und diese Formen künstlicher Intelligenz werden auch in der Landwirtschaft Einzug halten. Computer-Algorithmen werden schon bald besser wissen als jeder Bauer, wie er seine Felder am besten bestellt, seine Kühe, Schweine und Hühner versorgt oder wie viel er am besten wovon in welcher Qualität produzieren sollte. Wir werden auch in der Landwirtschaft Dinge erleben, die wir uns noch gar nicht vorstellen können.