Die Landwirtschaft hat Lust auf Innovation, sagt Stefan Böttinger vom Institut für Agrartechnik der Uni Hohenheim im Interview. Damit die Branche in Sachen Digitalisierung aber langfristig wettbewerbsfähig bleibt, müsse die Aus- und Weiterbildung verbessert werden.

Innovation und Weiterbildung müssen Hand in Hand gehen

Die Landwirtschaft ist reif für die Digitalisierung, wenn die Landwirte mitziehen

Seit 1771 gibt es das Institut für Agrartechnik an der Universität Hohenheim, seit 2005 leitet Stefan Böttinger es als geschäftsführender Direktor. Zuvor war er Vorstand des Bereichs „Precision Farming” der Europäischen Gesellschaft der Landwirtschaftsingenieure sowie Vorstand des Bereichs „Agricultural Electronics” der Internationalen Organisation für Standardisierung (ISO). Zu Böttingers Forschungsschwerpunkten gehören die Bereiche Automatisierung und Mensch-Maschine-Interaktion.

  • Die geläufigen Beispiele im Bereich Digitalisierung der Landwirtschaft sind Drohnen zur Schädlingsbekämpfung, Melkroboter und GPS-gesteuerte Erntemaschinen. Zu welchen weiteren Projekten forschen Sie am Institut für Agrartechnik?
  • Das Thema Digitalisierung der Landwirtschaft darf und kann man recht weit fassen. Wir verstehen darunter nicht nur das Automatisieren von Maschinen – also die ferngesteuerte oder selbstständig arbeitende Maschine, die zudem noch Daten sammelt. Die Digitalisierung der Landwirtschaft geht darüber hinaus: Isolierte Einzelsysteme werden vernetzt und tauschen Informationen aus.

    Das ist heute nicht mehr nur über die Verbindung eines Traktors mit einem weiteren Gerät oder eines Bordcomputers mit dem Büro-PC via ISOBUS möglich. Mit Hilfe von weiterer Datenkommunikation können alle Einzelsysteme auf einem landwirtschaftlichen Betrieb sowie vor- und nachgelagerte Geschäftsprozesse miteinander verbunden werden. Das ermöglicht dem Landwirt, seine Produktion auf der Grundlage der Informationen, die er aus den erfassten Daten gewonnen hat, zu verbessern.

    Am Institut für Agrartechnik forschen wir in verschiedenen Fachgebieten an den unterschiedlichsten Aspekten der Digitalisierung der Landwirtschaft. Im Bereich Tierhaltung entwickeln wir neue Sensoren für die Einzeltier-Identifikation entwickelt und erforschen ihren Einsatz zur Erfassung der Tier-Aktivitäten. Aus diesen Daten können wichtige Aussagen zum individuellen Tierwohl getroffen werden. Für die Außenwirtschaft forschen wir zum Beispiel an der Erkennung der Arbeitsqualität in Mähdreschern und an der automatisierten Einstellung dieser Maschinen. Und in anderen Projekten werden die Arbeiten und Einsatzdaten einzelner Maschinen erfasst. Daraus können nicht nur Informationen für den wirtschaftlichen Maschineneinsatz, sondern auch über die Belastung der Maschine gewonnen werden. Das kann unter anderem bei der Vorhersage von nötigen Wartungsarbeiten helfen.

  • Welche Vorteile ergäben sich für Landwirte aus diesen Technologien, sobald sie auf Betrieben einsetzbar sind?

  • Mein Ziel ist es, dass Landwirte mit Hilfe dieser Techniken die Arbeit auf ihrem Betrieb noch besser planen, beobachten und durchführen können und dass das ein dauerhaft positives wirtschaftliches Ergebnis mit sich bringt.

  • Wie funktioniert der Austausch zwischen Landwirten und den Forschern Ihres Instituts? Woher bekommen Sie die Ideen für Ihre Forschungsprojekte?

  • Die Professoren und Mitarbeiter des Institutes kommen teilweise aus der Landwirtschaft und alle haben vielfältige Kontakte zu Landwirten, Lohnunternehmern und Beratern, aber auch zu Vertretern der Maschinen- und Gerätehersteller. Dadurch sind wir über die aktuellen Fragen der Landwirtschaft gut informiert. Einige Ideen für Forschungsprojekte entstehen bei Gesprächen mit dem genannten Personenkreis über die aktuellen Fragen und Probleme. Viele Ideen entstehen aber auch beim Austausch mit Fachkollegen oder mit Kollegen aus anderen technischen Bereichen. Immer wieder kommen auch Landwirte mit eigenen Ideen auf uns zu.

    An der Universität Hohenheim haben wir mehrere landwirtschaftliche Betriebe als Versuchsstationen, auf denen wir viele unserer Forschungsarbeiten auch durchführen und die Ergebnisse in Zusammenarbeit mit den dort tätigen Landwirten erproben können.

  • Wie innovationsfreudig ist die Landwirtschaft Ihrer Erfahrung nach?

  • Alle Landwirte wollen sich die Arbeit erleichtern und sie verbessern. Sie interessieren sich für Neuheiten und diskutieren mit ihren Kollegen über die Vor- und Nachteile einzelner Maschinen oder Verfahren. Die Umsetzung – also die Marktakzeptanz von Innovationen durch die Landwirtschaft – könnte aber noch besser bzw. schneller sein. Das ist aber meist den beschränkten Ressourcen geschuldet: Es mangelt nicht nur an Geld, sondern oft auch an Mitarbeitern, die mit der neuesten Technik umgehen und sie erfolgreich einsetzen können. Das ist also auch eine Frage der Aus- und Weiterbildung in der Landwirtschaft.

  • Was wären Ihrer Ansicht nach sinnvolle Strategien, um die Digitalisierung der Landwirtschaft voranzutreiben?

  • Meiner Meinung nach muss die Aus- und Weiterbildung der Landwirte hinsichtlich der Digitalisierung verbessert werden. Die Länder sollten hier mehr unterstützen, damit die Betriebe auch in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben. Berater sollten gemeinsam mit den Landwirten betriebsindividuelle Einführungsstrategien erarbeiten, um einen schrittweisen und sinnvollen Einstieg in die digitalisierte Landwirtschaft zu ermöglichen. Und ja: Oft gibt es große Unterschiede zwischen dem, was die Kunden von den neuen Produkten erwarten, und dem, was die Produkte dann tatsächlich können. Auch hier ist eine gute Erprobung und Beratung durch unabhängige Einrichtungen – zum Beispiel durch eine DLG-Prüfstelle – nötig.

  • Heute sprechen wir von Melkrobotern, GPS-Steuerung von Erntemaschinen und Drohnen in der Schädlingsbekämpfung als Innovation. Was glauben Sie, von welcher technologischen Neuerung wir in fünf bis zehn Jahren sprechen?

  • Zukunftsthemen werden sein: neue Maschinenkonzepte, automatisierte Information über den Entwicklungsstand der Pflanzen auf dem Feld und möglicher Pflanzenkrankheiten, die Elektrifizierung von Teilfunktionen in Maschinen und Geräten und weitere alternative Antriebssysteme wie zum Beispiel Hybrid und Wasserstoff.