Wie funktioniert das Elterngeld Plus? Was läuft in Deutschland schief? Juristin Nina Straßner kritisiert das Modell hierzulande und erklärt, was die Isländer besser machen.

 

 

Die Eltern und das liebe Geld

Über das Elterngeld und Unterschiede zu Island

  • Frau Straßner, ist es Ihnen als Juristin leichtgefallen, die Elterngeldanträge bei Ihren beiden Kindern auszufüllen?
  • Überhaupt nicht. Ich war latent in Panik, irgendwo ein falsches Kreuz zu setzen und einen verwaltungsrechtlichen Rattenschwanz an Bescheiden auszulösen, die sich nachteilig für mich auswirken. Heute habe ich das für Mandantinnen Hunderte Male geplant und bin deutlich gelassener.
  • Warum verzweifeln so viele Eltern beim Planen der Elternzeit und beim Ausfüllen der Elterngeld­Anträge?
  • Plötzlich müssen Eltern ihre Rollen erstmals wirklich diskutieren und Gespräche mit Arbeitgebern führen. Dabei stehen vielleicht auch Karrieren auf dem Spiel. Der Druck, „alles richtig“ machen zu müssen, damit man keine Chancen verspielt, ist immens und die Rechtslage echt unübersichtlich. Letztlich muss man sich schon während der Schwangerschaft genau überlegen, wie man den Wiedereinstieg in den Beruf plant, ob man längere Zeit aus dem Beruf aussteigen möchte oder sich möglichst flexibel alles offenhalten möchte. Leider haben alle drei Varianten Auswirkungen auf das Elterngeld­Modell und erst recht auf den Elternzeitantrag beim Arbeitgeber.
  • Und dann ist das Kind da . . .
  • . . . und alles kommt anders. Das Leben mit Kindern ist eben nicht langfristig planbar. Plötzlich möchte man das Elterngeld­Modell wechseln oder länger in Elternzeit gehen. Ein weiteres Kind kommt oder man findet keinen Betreuungsplatz. Dann helfen nur viele klare Gespräche mit dem Partner, eine individuelle Beratung und moderne Arbeitgeber, die sich ebenfalls Beratung holen.
  • Sind die Elterngeldberatungsstellen dafür eine gute Anlaufstelle?
  • Ja, von denen höre ich tatsächlich viel Gutes. Allerdings sollte man sich dort erst beraten lassen, wenn man sich vorinformiert und ein paar konkrete Gedanken gemacht hat. Das eigentliche Problem aber ist, dass das Elterngeld immer an die Elternzeit geknüpft ist – und für diese spielt das individuelle Arbeitsrecht eine sehr große Rolle. Hier lohnt es sich wirklich, ein bisschen Geld in die Hand zu nehmen und die eigene Situation rechtlich durchprüfen zu lassen. Viele Anwälte bieten da Beratungspauschalen an, die echt im Rahmen liegen. Auch sogenannte Eltern­Coaches können eine erste Orientierung geben, dürfen aber keinen Rechtsrat erteilen. Die Einführung von Elterngeld Plus sollte es den Eltern einfacher machen, früher wieder in Teilzeit in den Beruf einzusteigen.
  • Viele Familien denken über das Modell nach, die wenigsten entscheiden sich tatsächlich dafür. Woran liegt das?
  • Das Elterngeld Plus bedeutet nicht, dass es mehr Geld vom Staat gibt. Das „Plus“ meint letztlich das Teilzeitgehalt, das neben dem Elterngeld dazukommt. Auch hier gibt es aber ab einer gewissen Gehaltshöhe deutliche Abzüge. Man fällt aus der Familien­Krankenversicherung raus, was aber insbesondere bei einer kleinen Selbstständigkeit, in die viele Mütter gehen, weil entsprechende Teilzeitstellen fehlen, teuer wird. Zudem müssen Kinder betreut werden, wenn man berufstätig ist. Das kostet, je nach Bundesland oder Kommune, sehr viel Geld. Wenn dann vom „Plus“ letztlich nur 200 Euro mehr in der Familienkasse liegen, weil die Kita 500 Euro netto kostet, dann verstehe ich, wenn Eltern beim Blick auf den Taschenrechner ins Schleudern kommen und sich gegen den beruflichen Wiedereinstieg entscheiden. Leider auf Kosten der eigenen Rente, noch immer meistens die der Mütter. Und das, obwohl sie durch die Geburt eines Kindes direkt zum Überleben des Sozialsystems beitragen. Schon seit 60 Jahren ist das ein absoluter Skandal.
  • Aber ist diese Rechnung wirklich so einfach?
  • Die Kinderbetreuungskosten bekommt man ja zumindest anteilig über die Einkommensteuererklärung zurück . . . Dafür muss man aber erst einmal so viel verdienen, dass „etwas steuerlich absetzen dürfen“ in Bereiche kommt, die finanziell einen Unterschied machen. Mehrkosten durch Kinder sind enorm und werden kaum aufgefangen durch Kindergeld oder Elterngeld. In Frankreich beispielsweise zahlen Familien ab dem zweiten Kind nur noch 50 Prozent Einkommensteuer, ab dem dritten Kind praktisch keine mehr. So ist in dem Moment mehr Geld im Familienportemonnaie, in dem es auch wirklich gebraucht wird. Auch in anderen Ländern gibt es so viele gute Ansätze.
  • Zum Beispiel?
  • In Deutschland geht noch immer nur ein mageres Drittel der Väter in Elternzeit und die auch nur für zwei Vätermonate. In Island dagegen sind es weit über 90 Prozent – und zwar oft für sechs Monate. Dort ist das Elterngeld höher, wird aber kürzer ausgezahlt und das maximale Elterngeld lässt sich nur rausholen, wenn beide Partner gleichberechtigt aussteigen. Und das hat ganz langfristige, arbeitsmarktpolitische Auswirkungen. Bei Bewerbungsgesprächen hat der Arbeitgeber nicht mehr im Hinterkopf dass Stefanie (29) vielleicht bald mit höherer Wahrscheinlichkeit kinderbedingt ausfallen wird als Stefan (29). Auch müssen für alle Mitarbeiter flexiblere Arbeitszeitmodelle eingeführt werden. Das ermöglicht Familie und Beruf überhaupt erst.
  • Das Modell der Isländer wurde auch in Deutschland mal diskutiert.
  • Ja. Jetzt ist das Elterngeld gesellschaftspolitisch leider nicht viel mehr als ein Jahr mit Baby und „mit Geld vom Staat“. Paare, die gleichberechtigt in den Kreißsaal marschieren, kommen als Hausfrau und Alleinverdiener wieder raus. Wie 1950. Wir sind noch lange nicht da angekommen, wo wir hinmüssten.
  • Was würde Ihrer Meinung nach Familien denn wirklich unterstützen?
  • Wir müssen an die Arbeitszeitmodelle ran. Diskutieren könnte man aus meiner Sicht eine Neuregelung von „Vollzeit“. Wären das generell 30 statt 40 Stunden, bliebe automatisch mehr Raum für Familie und Beruf. Wir haben so viele Prozesse in den letzten Jahren computergestützt automatisiert und optimiert, ohne dass die Wochenarbeitszeiten für die Arbeitnehmer sanken. Was eigentlich eine logische Konsequenz sein müsste. Und wenn wir alle mal ehrlich sind: In ganz vielen Berufen schafft man in sechs Stunden bei voller Konzentration dasselbe wie sonst in acht Stunden. 

Nina Straßner ist Fachanwältin für Arbeitsrecht, Autorin des Bestsellers „Keine Kinder sind auch keine Lösung“ und bloggt als „Juramama“.

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