Laufräder sind Spielzeuge, keine Fahrzeuge. Kinder werden erst im Alter von etwa zehn Jahren zu sicheren Verkehrsteilnehmern.

 

 

Gefahr für kleine Flitzer

Mit Laufrädern gehen die Kids auf heikle Entdeckungsreise

Der zweijährige Junge war am Donnerstag gegen 8.45 Uhr mit seinem Laufrad in Begleitung seiner Mutter auf einem Gehweg im Stuttgarter Osten unterwegs. Aus einer Tiefgarage wollte ein Range Rover herausfahren. Das Kind geriet unter das Auto und verletzte sich schwer, wie die Polizei mitteilte. Schwere Unfälle mit Kindern auf Laufrädern vermeldet die Polizei immer wieder, auch wenn sie sich nicht in Zahlen fassen lassen. Denn laut Deutscher Verkehrswacht werden sie nicht in einer gesonderten Statistik erhoben. Und dafür gibt es auch einen guten Grund: Laufräder sind der Straßenverkehrsordnung zufolge gar keine Fahrzeuge, sondern Spielzeuge. Trotzdem flitzen sie überall herum – auch im Straßenverkehr.

Motorisch können Zweijährige die Räder meisterlich beherrschen. Das war’s dann aber auch schon mit den Fähigkeiten, die man zur Teilnahme am Straßenverkehr braucht. „Ich halte es für grob fahrlässig, ein zwei bis fünf Jahre altes Kind mit dem Laufrad auf dem Gehweg fahren zu lassen“, sagt Robert Newart, Geschäftsführer der Landesverkehrswacht Baden­Württemberg. Denn dort sei es ein Verkehrsteilnehmer – ohne die dafür notwendigen Fähigkeiten zu besitzen. „Entfernungen richtig einschätzen, sich nicht ablenken lassen, sich in andere Personen hineinversetzen können“, nennt Verkehrspsychologin Maria Limbourg von der Uni Essen nur einige der Dinge, die Kinder erst im Laufe der Grundschulzeit lernen.

Nicht umsonst finde auch die Fahrradprüfung erst in der 4. Klasse statt. Dort fallen übrigens Jahr für Jahr mehr Schüler durch – weil sie motorische Defizite haben, im Straßenverkehr nicht geübt sind, im Auto zur Schule gebracht werden. „Deshalb ist es natürlich wichtig, dass sich Kinder mit Bobby­Cars, Rollern oder Laufrädern motorisch früh entwickeln können, aber bitte im Schonraum – also im Park oder auf dem Sportplatz – und nicht im Straßenverkehr“, sagt Verkehrspsychologin Maria Limbourg. Dort könne man auch erste Regeln wie das Anhalten an abgemachten Punkten üben.

Und dass nur mit passendem Helm gefahren wird. Für privaten Grund und Boden sind Bobby­Cars, Dreiräder, Laufräder und Roller übrigens auch rein rechtlich gedacht. Als Spielzeuge, nicht als Fahrzeuge. Was bedeutet, dass die Kinder damit auch allenfalls auf dem Gehweg am Straßenverkehr teilnehmen dürfen. Wer sein Kind also – entgegen den Empfehlungen der Experten – auf dem Spielzeug­Fahrzeug zum nächsten Spielplatz fahren lässt, sollte zumindest drei Dinge beachten: Das Kind fährt nur auf dem Gehweg – und zwar auf der der Straße abgewandten Seite. Es steigt beim Überqueren einer Straße ab. Und der Erwachsene hat es immer in Griffnähe – was meist ein gesundes Joggingtempo des Erwachsenen voraussetzt.

Robert Newart von der Landesverkehrswacht Baden­Württemberg würde mit Kindern im Alter bis zu acht Jahren vor allem üben, als Fußgänger im Straßenverkehr unterwegs zu sein. „Als Erwachsener sollte man dabei ruhig mal in die Hocke gehen und sich bewusst machen, was ein Kind aus dieser Perspektive alles nicht sehen kann, vor allem wenn es zwischen zwei Autos durchgeht.“

Ab etwa fünf Jahren sei ein Kind reif genug, einfache Verkehrsregeln wie das richtige Verhalten am Zebrastreifen oder an Ampeln zu lernen. „Bis es das sicher beherrscht, muss man aber viele Bücher mit Beispielen anschauen und viele Straßen gemeinsam überqueren“, sagt Verkehrspsychologin Maria Limbourg. Vor allem aber müsse man den Kindern immer ein Vorbild sein. „Wer sein Kind in der Eile über eine rote Ampel zieht, macht sich natürlich unglaubwürdig.“

 

Der Bewegungsdrang

Kinder können nicht lange still sitzen oder still stehen. Das kann beispielsweise dazu führen, dass sie an einer Ampel einfach losrennen – obwohl die noch rot ist.

 

Die Größe

Durch ihre Größe können Kinder den Straßenverkehr nur schlecht überblicken und werden von anderen Verkehrsteilnehmern in der Regel spät gesehen. Vor allem in der dunkeln Jahreszeit sind Reflektoren an der Bekleidung deshalb ein Muss. Mit ihnen wird ein Kind aus etwa 150 Meter Entfernung gesehen – ohne erst aus 20 bis 30 Meter Entfernung.

 

Die Konzentrationsfähigkeit

Bis zum Alter von etwa acht Jahren können Kinder sich gar nicht über längere Zeit konzentrieren. Sie lassen sich schnell vom Straßenverkehr ablenken, beispielsweise durch einen Vogel, andere Kinder oder Musik. Die volle Konzentrationsfähigkeit und damit auch die Fähigkeit, ihre volle Aufmerksamkeit auf den Straßenverkehr zu lenken, haben Kinder erst mit etwa 14 Jahren erreicht. Erst dann ist es ihnen auch möglich, sich auf zwei Dinge gleichzeitig zu konzentrieren – zum Beispiel Fahrrad fahren und den Verkehr im Auge behalten.

 

Das Gehör

Erst mit etwa sieben Jahren können Kinder Geräusche so gut unterscheiden wie Erwachsene und genau zuordnen, aus welcher Richtung beispielsweise ein Auto hupt.

 

Das Sehvermögen

Die Sehschärfe entwickelt sich noch bis ins dritte Lebensjahr hinein. Das räumliche, dreidimensionale Sehen wie bei Erwachsenen beherrschen Kinder erst im Grundschulalter. Ihr Sichtfeld bleibt noch bis etwa zum zwölften Lebensjahr seitlich um bis zu 30 Prozent eingeschränkt.

 

Egoistische Verhaltensmuster

Erst im Teenager-Alter sind Kinder in der Lage, sich komplett in andere hineinversetzen zu können und alternative Perspektiven einnehmen zu können. Bis dahin gehen sie davon aus, dass die anderen Verkehrsteilnehmer all das, was sie selbst sehen, auch sehen können („Ich sehe das Auto, also sieht das Auto mich auch“).

 

Das Abschätzungsvermögen

Bis zum Alter von etwa sechs Jahren verstehen Kinder nicht, dass ein Auto einen Bremsweg braucht, um anhalten zu können. Das liegt daran, dass sie auch Entfernungen (bis zum Alter von etwa acht Jahren) und Geschwindigkeiten (bis zum Alter von etwa zehn Jahren) noch nicht richtig abschätzen können. Viele Kinder unter sechs Jahren können bei einem entfernten Auto noch nicht einmal unterscheiden, ob das Auto steht oder fährt.