Angesichts der jüngsten TTIP Enthüllungen von Greenpeace scheint es immer unwahrscheinlicher, dass der Freihandelsvertrag bald zustande kommt. Viele Kritiker sind sich zudem einig, dass ein Neubeginn der Verhandlungen das beste wäre. Doch wie müsste ein Freihandelsabkommen aussehen, von dem alle Seiten profitieren können?

Wir haben mit Wirtschaftsingengieur Dirk Solte gesprochen, der an nachhaltiger Entwicklung forscht. Er hätte da ein paar konkrete Vorschläge.

  • Transparenz führt zu mehr Demokratie

  • Alle Kritiker und selbst Teile des Politikapparats fordern mehr Transparenz: Bei den Verhandlungen, bei den Texten, über die beraten wird und auch im Bezug darauf, wer in die Verhandlungen an welcher Stelle involviert ist.

    Bislang wurde im Geheimen verhandelt. Das Argument dafür klingt einleuchtend: Wenn man seinem Gegenüber seine Pläne schon vorab verrät, kann der natürlich leicht Strategien entwickeln, mit denen er seine eigenen Ziele besser durchsetzt. Um also so wenig Zugeständnisse wie möglich machen zu müssen, sagt man nicht, wo rote Linien sind und welche Ziele man konkret hat. Klingt logisch – vermeintlich.

    Diese Einstellung stammt aus einer Welt, in der konsequent gegeneinander gearbeitet wurde. Modernere Ansätze gehen davon aus, dass die besten Ergebnisse für alle Betroffenen erzielt werden, wenn man gemeinsam an Lösungen arbeitet. Diese Denkweise ist noch nicht bei allen angekommen, setzt sich aber langsam durch.

    Eng verbunden mit diesem Ansatz ist das „Crowdsourcing“. Irgendwo gibt es immer jemanden, der etwas besser weiß. Spricht man also nicht offen mit allen wird viel Potential verschenkt. Die Herausforderung besteht in erster Linie darin, einen transparenten Prozess zu etablieren der auch mit vielen, vielleicht Millionen, Beteiligten noch effizient, transparent und zielgerichtet abläuft. Ob moderne Technologie dabei helfen kann bleibt abzuwarten. Aber wer sich nicht auf den Weg macht, kommt auch nie an.

  • Hohe, nach oben offene Verfahrenstandards

  • Klimawandel, Rohstoff-Knappheit, steigende Bevölkerungszahlen, wachsende Ungleichheit, Artensterben und verschmutzte Meere. Es ist kein Geheimnis, dass es viele Bereiche gibt, indenen die Menschheit vor riesigen Herausforderungen steht. Freihandelsabkommen könnten einen Teil zur Lösung beitragen.

    Bei der Erstellung von Produkten und Dienstleistungen werden Ressourcen benötigt: Arbeitskraft, Rohstoffe, Energie. Die derzeit gültigen Standards legen nur fest, wie ein Produkt oder eine Dienstleistung beschaffen sein muss, wenn es fertig ist. Ob dabei ungerechte Arbeitsverhältnisse, Umweltverschmutzung oder gar Schlimmeres wie Kinderarbeit involviert sind, spielt keine Rolle. Dadurch belasten wir unseren Planeten mehr als dieser nachhaltig geben kann. In letzter Konsequenz schaffen wir uns dadurch selbst ab.

    Ein Schritt zu einer nachhaltigen Wirtschaft wäre, Standards so zu definieren, dass Produkte möglichst effizient, ressourcensparend und gerecht produziert werden – und dabei auch soziale sowie Umweltaspekte (fairer Lohn, Bildung, Wohlstandsverteilung, Luftverschmutzung, Wasserverbrauch, Belastung der Böden) mit eingepreist werden. Statt Qualitätsstandards müssten Verfahrensstandards definiert werden.

    Möglich wäre das, jedoch verhindern aktuell geltende juristische Regeln diese Richtung. Dabei nur mit erhobenem Zeigefinger auf die „bösen Kapitalisten“ zu zeigen hilft aber auch nicht. Das aktuelle Wirtschaftssystem funktioniert und hat über sehr lange Zeiträume vornehmlich Wohlstand geschaffen. Um den Status Quo zu erhalten, wurden jedoch Methoden etabliert, die einer nachhaltigen Weltwirtschaft im Weg stehen.

    In Freihandelsverträgen müssten hohe Verfahrensstandards festgesetzt werden, die bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen auch nach oben offen sind, wenn etwa Grenzwerte angehoben werden müssen. Aus europäischer Sicht ist das Vorsorge-Prinzip geeigneter, um vorausschauend künftigen Herausforderungen zu begegnen. Aus US-amerikanischer Sicht ist das überängstlich und zögerlich.

    Beide Wege mit Risiken umzugehen haben bisher funktioniert und zu Wirtschaftswachstum geführt. In Europa ist man stolz auf hohe Verbraucherstandards und Produktqualität, der US-amerikanische Ansatz ist innovationsfreundlicher.

  • Kurzfristiges Denken = langfristige Probleme

  • Natürlich will dabei aber niemand auf Gewinne verzichten, also muss Wachstum erwirtschaftet werden. Das könnte auch aus der Umstellung auf nachhaltige, effiziente und gerechte Herstellungsprozesse kommen. Der Weg dorthin müsste jedoch politisch und gesellschaftlich gewollt sein, denn er wäre radikaler Umschwung. Wer besser, gerechter und tendenziell am Gemeinwohl orientiert arbeitet, müsste auch höhere Gewinne haben.

    Damit Verfahrensstandards möglich werden, ohne, dass Konzerne auf ihr Recht auf Investitionsschutz klagen, müssen die Verfahrensstandards über den Investitionsschutz gestellt werden. Würde beispielsweise als Verfahren festgesetzt, dass Produkte nur mit nachhaltig produzierter Energie gefertigt werden dürfen, gäbe es im ersten Moment viele und große Verlierer. Einen solchen Umschwung weltweit einzuleiten ist eine Mammutaufgabe.

    Es ist an der Politik die Rahmenbedinungen dafür zu schaffen und das Umdenken einzuleiten. Von Konzernen ist es nicht zu erwarten, da sie in erster Linie Investoren kurzfristig verpflichtet sind und diese, abgekoppelt vom Wertschöpfungsprozess, verständlicherweise selten und wenig Interesse an Verfahrensstandards haben. Denn im ersten Schritt verkleinern sie den Gewinn – und wer möchte schon Jahre warten, bis die Welt ein besserer Ort geworden ist und sich ein neues System durchgesetzt hat, um dann höhere Renditen zu haben?

    Damit das dennoch möglich wird, darf indirekte Enteignung aufgrund entgangener „hypothetischer“ Gewinne also kein Tatbestand vor Schiedsgerichten mehr sein. Andernfalls können Investoren immer gegen hohe Verfahrensstandards klagen. Dafür müssten Teile des internationalen Rechts angepasst werden. Das ist eine machtpolitische Herausforderung.