Schutz von Investoren auf der einen Seite, Paralleljustiz mit Sonderrechten auf der anderen: Die Standpunkte zu den Schiedsgerichten, die im Streitfall zwischen Unternehmen und Staat entscheiden, könnten kaum weiter auseinanderliegen. Wir haben die Argumente beider Seiten.

Kaum ein TTIP-Thema hat sowohl bei den Verhandlungen als auch in der Öffentlichkeit für so viel Diskussion gesorgt wie die Schiedsgerichte. Sie waren der Auslöser für die ersten öffentlichen Anhörungen und Diskussionsforen im Rahmen von TTIP und wurden aus mehreren Verhandlungsrunden ausgeklammert.

Denn im Gegensatz zu vielen TTIP-Themen, bei denen noch nicht klar ist, welche Auswirkungen der Vertrag tatsächlich auf die Realität haben wird, liegt die Sache bei den Schiedsgerichten anders: Sie gibt es schon eine ganze Weile. Die Deutschen haben sie sogar miterfunden, als sie 1959 ein Freihandelsabkommen mit Pakistan schlossen.

Der Grundgedanke klingt zunächst einmal gut: Investiert ein Unternehmen oder eine Privatperson in einem fremden Land – etwa mit dem Bau einer Fabrik – und fühlt sich dann durch neue Bestimmungen oder eine Gesetzesänderung benachteiligt, so kann der Investor Klage bei einem Schiedsgericht einreichen. Gegenüber einem nationalen Gericht hat ein internationales Schiedsgericht zwei Vorteile: Zum einen ist es unvoreingenommener, als es Richter eines nationalen Gerichts wären. Zum Anderen gewährleistet ein internationales Schiedsgericht ein Verfahren nach rechtsstaatlichen Grundsätzen – auch wenn das Land, gegen das geklagt wird, diesen Grundlagen selbst nicht folgt.

Solche Schiedsgerichte bestehen aus drei Richtern, die jedoch nicht hauptberuflich Richter sind, sondern Anwälte und Juristen: Einen bestimmt der Investor, einen das Land, das verklagt wird und über den Dritten einigen sich die ersten beiden. Die Gerichte tagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, sodass die genaue Zahl an Fällen nicht bekannt ist.

Im Durchschnitt acht Millionen Dollar pro Prozess

Weil Schiedsgerichte schon eine lange Tradition haben, ist ziemlich klar, welche Konsequenzen solche „ISDS“ („Investor State Dispute Settlement“, Investor Staat Schiedsverfahren) haben.

Heute sind mehr als 600 Fälle bekannt, in denen bis Ende 2014 Staaten auf Grundlage eines Vertrages verklagt wurden. Auffällig ist jedoch die Zunahme an Verfahren, berichtet Spiegel Online: „von nur 15 im Jahr 2000 auf ungefähr 60 pro Jahr heute.“

Ein niederländisches Team von Investigativ-Journalisten recherchierte, dass die Hälfte der Verfahren von westeuropäischen Firmen initiiert werde: Der Großteil der Klagen (22%) stamme von US-amerikanischen Investoren, gefolgt von niederländischen (12%) , britischen (8%) und deutschen Klägern (7%). Auf der Anklagebank befanden sich vor allem Entwicklungsländer und Kanada.

Wird ein Staat zu einer finanziellen Entschädigung verurteilt, bezahlen letztendlich die Steuerzahler. Ein Prozess schlägt mit rund acht Millionen Dollar zu Buche - durchschnittlich. Ecuador beispielsweise musste 1,1 Milliarden Dollar Strafe zahlen, was mehr als drei Prozent seines Haushaltes für 2016 entspricht.

Die Analyse des Teams zeigte darüber hinaus, dass eine kleine Gruppe von Anwälten in den Schiedsfällen entscheidet: 15 Anwälte, die in 63 Prozent aller Verfahren involviert sind und „in Verbindung mit Kanzleien (stehen), die ein Interesse an der Erweiterung des Marktes haben“.

„ICS“ soll „ISDS“ ersetzten

Als Reaktion auf Kritik und Proteste passte die EU Kommission schließlich ihr Konzept für Schiedsgerichte an; auch damit klagefreudige Unternehmen nicht Unmengen Geld einklagen können. Auch die Kommission habe erkannt, dass das bisherige Schiedsgerichtssystem Mängel aufweise, erklärt EU-Verhandler Lutz Güllner.

In dem neuen Vorschlag werden „ISDS“ durch „ICS“ (Investor Court System, Investor-Gerichts-System) ersetzt. Statt drei Schiedsrichtern, gibt es ein Tribunal aus 15 Richtern: fünf aus den USA, fünf aus der EU, fünf aus einem Drittland. Zusätzlich gibt es ein Berufungsgericht.

Doch für Kritiker, wie der Grünen-Europa-Politikerin Ska Keller, geht der Vorschlag in die falsche Richtung. Lutz Güllner und Ska Keller haben wir dazu die gleiche Frage gestellt:

Ska Keller und Lutz Güllner zu Schiedsgerichten

Auch die Nicht-Regierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) kritisiert die Änderungen als zu geringfügig: Da die Schiedsrichter nach wie vor bezahlt werden, bestehe ein Anreiz, Investoren viele Rechte einzuräumen, um das Geschäft anzukurbeln. Damit würden die internationalen Standards für die Unabhängigkeit von Gerichten nicht gewahrt, sagt Lora Verheecke von CEO:

Lora Verheecke kritisiert die Schiedsgerichte

Die andere Seite, die Industrie-Lobby, ist mit dem neuen Vorschlag auch nicht glücklich. Sie führen das neue „ICS“-System als Argument für ihren geringen Einfluss auf die Verhandlungen an, wie Luisa Santos vom Lobbyverband Business Europe skizziert:

NGOs bekommen was sie wollen, sagt Luisa Santos

Auch die US-Seite scheint mit dem neuen „ICS“-System unzufrieden. In einem Brief drohten 21 Senatoren den US-Verhandlungsführer, dass sie dem Abkommen nur zustimmen, wenn die Schiedsgerichte in der ursprünglichen „ISDS“-Variante Bestandteil von TTIP sind. Ein möglicher Grund dafür: Es ist kein Fall bekannt, in dem die USA vor einem Schiedsgericht verloren haben – bisher gewannen sie oder konnten einen Vergleich erzielen.

„Nationale Gerichte könnten genauso entscheiden“ – oder?

Als Alternative zu den Schiedsgerichten, schlagen die deutschen und europäischen Kritiker vor, nationale Gerichte über die Fälle entscheiden zu lassen.

Santos von Business Europe sagt, dass die jedoch nicht ausreichend sind:

Ohne Schiedsgerichte geht es nicht, sagt Luisa Santos

Auch Verheecke auf der Gegenseite gesteht zu, dass das bisherige Gerichtssystem verbessert werden müsste. Aber immerhin sei eine Veränderung des bestehenden Systems möglich – im Gegensatz zum „ICS“, das – einmal festgeschrieben - nahezu unumstößlich wäre:

Laura Verheecke schlägt vor das bestehende System zu verbessern

Auch Lena Blanken von Foodwatch sagt, dass die „ICS“ eher schädlich wären als hilfreich. Die USA und Deutschland haben bereits funktionierende Rechtssysteme, sodass kein Bedarf bestehe, eine Paralleljustiz einzurichten. Die würde nur dazu führen, dass Gesetze, die auf demokratischem Weg entstanden sind, untergraben würden:

Lena Blanken lehnt die alten und die neuen Schiedsgerichte ab

Welche genaue Form die Schiedsgerichte annehmen und welche Konsequenzen sie haben werden, zeigt sich nicht erst in TTIP. Denn als Vorlage für das EU-US Abkommen gilt CETA, das Abkommen zwischen der EU und Kanada. So wird CETA - auch in Sachen Schiedsgerichte – einen kleinen Ausblick in eine Zukunft mit TTIP ermöglichen.