Gabriel Felbermayr ist Professor an der LMU München. Dort befasst er sich mit Fragen des Außenhandels und der Globalisierung – von Klimaschutz über Migrationsfragen bis zu ausländischen Dirketinvestitionen. Darüber hinaus ist er für das ifo Institut für Wirtschaftsforschung tätig.

  • Sind Sie für oder gegen TTIP?

  • Wir haben noch keinen ausverhandelten Text auf dem Tisch liegen. Erst wenn der wirklich auf dem Tisch liegt und man das Kleingedruckte durchgehen kann, würde ich mich als Befürworter oder als Gegner positionieren. Zunächst einmal finde ich es aber gut und wichtig, dass EU und USA über handelspolitische Fragen sprechen und verhandeln.

    Gabriel Felbermayr, ifo Institut für Wirtschaftsforschung

  • 2013 haben Sie für die Bertelsmann-Stiftung in einer Studie die Auswirkungen von TTIP betrachtet. Was war die wichtigste Erkenntnis?

  • In der Studie haben wir Potentiale ausgerechnet, es ist also keine Prognose. Wir haben bemessen, was möglich wäre, wenn EU und USA ein gutes, tiefgreifendes Abkommen schließen. Dann findet man sehr beträchtliche positive Effekte von diesem Abkommen für die TTIP-Insider, also den 28 EU-Staaten plus den USA.

    Es gibt rechtliche Unsicherheiten, wie groß die Effekte wirklich sein können, aber dass sie beträchtlich sind, darauf würde ich mich jetzt schon festlegen. Sie bewegen sich für Deutschland langfristig zwischen drei und fünf Prozent (zusätzlichem Wirtschaftswachstum). Langfristig, weil es eben ein Zeit braucht, bis diese Effekte voll zum Tragen kommen – etwa zehn bis zwölf Jahre. Wenn alles gut geht, haben wir ein dreieinhalb Prozent höheres Bruttoinlandsprodukt pro Kopf.

    Das ist ein Einmaleffekt, also ein Mal steigt das Bruttoinlandsprodukt an, bleibt aber dann permanent auf diesem höheren Niveau.

    Diese positiven Effekte innerhalb der Gruppe der Insider muss man den Negativeffekten in der Gruppe der Outsider gegenüberstellen. Natürlich gibt es auch Schattenseiten und in der Gruppe der TTIP-Outsider könnte es durchaus Verlierer geben. In unserer Studie haben wir mit einfachen Modellen gearbeitet, relativ undifferenziert – da kam dann auch sehr stark zum Vorschein, dass der Rest der Welt, mit Ausnahme von ein paar kleinen Ländern, durch TTIP Nachteile erfahren könnte. Im Durchschnitt können die Outsider aufgrund des Abkommens einen knappen Prozentpunkt BIP (verlieren).

  • Die positiven Auswirkungen beziehen sich rein auf das BIP. Wie wird das gemessen?

  • Das BIP ist ein Sammelindikator, hinter dem sich die gesamtwirtschaftliche Aktivität verbirgt – also die Aktivitäten von Unternehmen und von Haushalten und des Staates. Letztlich steckt dahinter Produktivitätswachstum, also die Tatsache, dass wir mit den Ressourcen, die wir haben – mit dem Wissen unserer Ingenieure, mit dem Kapital, das wir in Deutschland haben, mit dem Boden – mehr erreichen können mit einen Freihandelsabkommen, als ohne.

    Und in einem einfachen Modell, wie wir es verwendet haben, gehen diese Produktivitätseffekte eins zu eins entweder in den Konsum oder in die Investitionen, werden also verbraucht.

    Das müsste aber nicht so sein. Wenn sich im gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht ergibt, dass man einen Teil dieser Produktivitätsgewinne verwenden will für mehr Freizeit oder zum Schutz von Ressourcen, dann wäre das auch möglich. Darum reden wir von Potentialen, die wir auf das BIP projizieren. Aber es könnte eben auch so sein – das war in der Nachkriegsgeschichte eigentlich immer so –, dass Produktivitätsgewinne fast eins zu eins in Freizeit umgesetzt wurden und in Konsum, also nicht alles in den Konsumbereich geflossen ist. Aber wir haben mit der Annahme gearbeitet, dass das komplett in den Konsum geht.

    Gabriel Felbermayr, ifo Institut für Wirtschaftsforschung

  • Wie haben sich denn in der Vergangenheit Freihandelsabkommen ausgewirkt?

  • Es gibt natürlich bereits ganz viele Freihandelsabkommen in der Welt, ein paar hundert. Davon ist die Europäische Union – mit Zollunion und Binnenmarkt – vielleicht das derzeit weltweit tiefgreifendste Abkommen, aber es gibt ganz viele andere. Die USA haben schon etwa drei Dutzend Abkommen geschlossen, mit Ländern, die politisches und wirtschaftliches Gewicht haben, wie Mexiko; aber auch mit (wirtschaftlich eher unwichtigen) Ländern, wie Moldawien an der Grenze Europas. Diese Abkommen werden und wurden auch immer wieder evaluiert: Wie funktionieren die, wie viel Handel haben sie wirklich geschaffen? Da stellt man fest, dass diese Abkommen im Durchschnitt genau das tun, was sie tun sollen: Sie schaffen in der Tat mehr Handel.

    Aber Wirtschaftspolitik besteht nicht darin, die Exporte zu maximieren oder die Importe. Sondern wir wollen ja den Wohlstand der Menschen verbessern, ihnen Möglichkeiten schaffen, die sie ohne diese Abkommen vielleicht nicht hätten. Und dann wird es schon ein bisschen schwieriger.

    Das muss man im Detail betrachten: zum Beispiel gibt es durchaus kontroverse Diskussionen ob das NAFTA-Abkommen zwischen Mexiko, USA und Kanada tatsächlich auch dem armen Partner in diesem Dreierbund, Mexiko, geholfen hat. Es gibt viele die sagen, das wäre nicht der Fall gewesen. Die wissenschaftliche Analyse zeigt aber, dass es schon positive Effekte gegeben hat, aber dass die für Mexiko sehr klein waren. Außerdem hat es Verteilungseffekte gegeben, sodass die wirtschaftliche Ungleichheit in diesem Land eher zugenommen hat. So hat das Abkommen eher den Reichen geholfen hat und weniger den schwachen. Ein durchwachsenes Beispiel also. Aber von einem anderen prominenten Beispiel, der EU-Integration, würde keiner sagen, dass daraus keine positiven Effekte erwachsen wären. Nicht nur positive Wachstumseffekte, sondern auch das Schaffen von Freiräumen für eine aktivere Sozialpolitik in den allermeisten Mitgliedstaaten, was dann auch gerechtere Lebensbedingungen ermöglichen kann.

  • Wie muss man sich aus Laienperspektive den Aufbau einer solchen Studie vorstellen, welche Annahmen liegen ihr zugrunde?

  • Als Wirtschaftsforschungsinstitut setzen wir natürlich eine streng ökonomische Brille auf, wir klammern gewisse Dinge aus, die für so ein Abkommen durchaus auch relevant sein könnten, wie zum Beispiel geostrategische Aspekte, oder die Frage nach der Gerechtigkeit im Welthandel. Das sind alles Themen, die nicht so sehr auf unserer Liste stehen, sondern wir fragen sehr platt: Welches Potential hat ein solches Abkommen beim Schaffen von Einkommen und damit von Möglichkeiten für die Menschen?

    Und das funktioniert so, dass man ein Handelsmodell verwendet, das so eingestellt wird, dass wir damit den Handel zwischen allen Ländern der Welt in einem Basisjahr reproduzieren können. Also ein mathematisches Konstrukt, das mit Computer programmiert wird und das als Resultat im Basisjahr genau die Matrix an Handelsströmen reproduziert, die wir in den Daten beobachten können. Wenn Sie so mögen, haben wir ein Modell der Welt, das aber nur bestimmte Aspekte der Welt abbildet. Und dann fragen wir, was wäre denn, wenn in diesem Modell der Welt etwas abweichen würde von der beobachteten Realität, nämlich, dass es schon ein Abkommen mit den USA gäbe. Wir unterstellen dann, dass da ein Abkommen existiert, das in seiner Effektivität genau so funktioniert, wie das Durchschnittsabkommen, das wir schon beobachten können. Wir wissen: Die haben soundso viel Handel geschaffen, diese Handelschaffung muss einer Absenkung von Handelskosten entsprechen, denn sonst wäre es nicht zu dieser Handelsschaffung gekommen. Und genau die unterstellen wir dann auch für EU und USA und dann fragen wir dieses Modell wieder: Was wäre denn, wenn eben die Handelskosten da niedriger wären, als sie sind. Dann bekommen wir eine neue Matrix von Handelsflüssen. Damit lässt sich dann ausrechnen, wie hoch das Pro-Kopf-Einkommen in der neuen Situation ist. Das lässt sich vergleichen mit dem beobachtbaren Pro-Kopf-Einkommen in der Ausgangssituation und der Unterschied sind dann eben die ominösen drei oder vier Prozent.

  • Werden die Auswirkungen von TTIP für jedes Land in Europa gleich positiv sein oder variiert das?

  • Das variiert. Je mehr Länder schon heute Handel treiben mit den USA, umso besser ist das Abkommen der Tendenz nach. Das muss man sich so vorstellen: Wenn Sie heute schon viel Handel treiben mit den Amerikanern und dieser Handel ist aber belastet durch Zölle, oder durch bürokratischen Aufwand, wenn diese Zölle und der bürokratische Aufwand abgesenkt werden, dann schafft das deutliche Effekte.

    Wenn Sie heute gar keinen Handel treiben, dann sind diese Effekte relativ klein, weil sie ja noch keinen Handel haben mit den USA und alle positiven Vorteile aus dem Abkommen müssen erst einmal geschaffen werden. Deswegen ist TTIP etwa für Irland oder Großbritannien, die heute schon stark mit der amerikanischen Wirtschaft verknüpft sind, besser als zum Beispiel für Griechenland.

    Insofern ergibt das Heterogenität, aber – und das ist durchaus überraschend – nach unseren Berechnungen, und das ist jetzt in vielen anderen Studien im Großen und Ganzen bestätigt, gibt es in der Gruppe der EU-Staaten keine Verlierer. Eine ganz neue Studie findet Malta als Verlierer. Malta ist aber ein sehr eigenartiges Land, sehr klein, von ganz wenigen Industrien dominiert. In der Modellwelt, in der wir da arbeiten, gilt keineswegs automatisch, dass alle Insider gewinnen. Da könnten auch Verlierer darunter sein. Dass das nicht der Fall ist, ist ein gutes Zeichen und zeigt, dass jedenfalls dem Potential nach alle EU-Mitgliedsstaaten gewinnen können.

    Ich sage immer Potential, denn wenn eine Regierung an die Macht kommt – ich sage mal Marine Le Pen in Frankreich – und die Institutionen und Weichenstellungen verändert, die es dem Land unmöglich machen, die Vorteile aus einer solchen Integration zu schöpfen, dann werden sich die positiven Effekte nicht einstellen. Also deswegen immer Potentiale, die müssen auch dann wirklich auch genutzt werden.

    Gabriel Felbermayr, ifo Institut für Wirtschaftsforschung

  • Wenn man jetzt mal Deutschland betrachtet, dann heißt es immer, dass Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) mehr profitieren als große Konzerne. Kann man das auch in Ihrem Modell sehen?

  • Ja, das kann man in der Tat untersuchen, dazu gibt es mittlerweile auch sehr viel Literatur. Zumindest die wissenschaftliche Forschung weist darauf hin, dass wir die positivsten Effekte bei den großen KMUs finden sollten. Nicht bei den ganz Großen, denn die sind heute schon in den USA unterwegs. Für die ist der US-Markt schon längst erschlossen, die haben dort häufig auch Produktionsstätten. Es sind eher die großen KMUs, die noch nicht in den USA sind, aber die richtigen Produkte dafür haben und bisher aufgrund bürokratischer Barrieren, regulatorischer Unsicherheit oder auch aufgrund hoher Zölle vom amerikanischen Markt abgehalten wurden. Wenn diese Barrieren gesenkt werden, dann werden diese mittelgroßen bis großen KMUs erstmals in den US-Markt eintreten können und dann entsprechend auch Wachstumsimpuls bekommen. Aber wie gesagt, ihre schwächeren Nachbarn, die kleinen KMUs, die vielleicht heute schon am europäischen Markt Schwierigkeiten haben, die könnten noch mehr in die Bredouille geraten, als sie schon sind. Weil natürlich auch die amerikanischen Staaten KMUs erstmals in den EU-Markt dringen könnten und hier die Wettbewerbsintensität verstärken. Und wer heute kein gutes Produkt hat für den US-Markt, wird auch morgen nicht in den US-Markt eintreten können, wird aber hier vor Ort den härteren Wettbewerb bekommen. Deswegen gibt es im mittleren Segment der Firmengrößen sowohl die größten Chancen, als auch die größten Gefahren.

  • Kann man sagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit die positiven Effekte eintreten?

  • Wie gesagt, wir berechnen Potentiale. Wenn sie negativ wären, dann hätten wir eine klare Indikation zu sagen: Das bringt nichts. Jetzt sind sie positiv, das bedeutet eigentlich zunächst einmal nur, es macht Sinn, zu verhandeln. Es macht Sinn, zu gucken, wo können wir uns einigen, wo können wir versuchen, Barrieren abzubauen – ohne aber heimische Befindlichkeiten zu vernachlässigen oder rote Linien zu übertreten.

    Jetzt hier mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen zu kommen, wäre ein bisschen ambitioniert. Die Potentiale, die sind so hoch, wie sie sind. Sie haben eine gewisse Unsicherheit, weil in den Modellrechnungen natürlich auch Parameter verwendet werden müssen. Diese Parameter werden statistisch geschätzt, sodass es darüber Unsicherheit gibt. Dann kann man versuchen, diese Unsicherheit auch in die Ergebnisse zu übertragen. Darum sprechen wir von Intervallen: Ich sage Ihnen nicht „der Effekt in Deutschland ist 4,48 Prozent“, sondern ich sage „er wird zwischen drei und fünf Prozent liegen“.

    Gabriel Felbermayr, ifo Institut für Wirtschaftsforschung

  • Die Studie ist von 2013. Sind die Angaben noch zutreffend oder würde sich das heute anders darstellen?

  • Wir haben 2015 eine Studie veröffentlicht, die im Prinzip genau dieselbe Methodik verwendet, wie unsere Studie für die Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2013, aber mit den aktuellsten Daten. Da konnten wir die Ergebnisse im Prinzip bestätigen, wobei die Effekte ein bisschen kleiner geworden sind. Warum sind sie kleiner geworden? Weil die erste Studie auf Basisdaten aus dem Jahr 2007 beruht hat. Leider hängen wir immer ein bisschen hinterher mit den Daten, weil wir sehr umfangreiche Daten brauchen, die durch die Publikation immer lange warten müssen. Zwischen 2007 und 2012 – das ist das Basisjahr in der neuen Studie – haben die EU und die USA gemeinsam am Welt-BIP ungefähr zehn Prozentpunkte Anteil verloren. Das ist ein tektonischer Shift, wie es ihn kaum gegeben hat in der Wirtschaftsgeschichte, nur der Erste Weltkrieg oder der Zweite Weltkrieg haben ähnliche Shifts hervorgerufen. Also der transatlantische Markt ist zwischen 2005 und 2012 dramatisch geschrumpft. Insofern macht es schon einen Unterschied, mit welcher Datenbasis wir an das Problem herangehen.

    Wir haben außerdem sehr viel detaillierter nachgeforscht, was nun mit den Drittland-Effekten ist. In unserer ersten Studie ein sehr grobes Modell verwendet, das haben wir jetzt verfeinert, neue Daten herangebracht, weit verzweigte Wertschöpfungsketten eingebaut, die wir mittlerweile haben im wichtigen Dienstleistungshandel. All das haben wir mit hineingefüttert und was sich dann zeigt, ist, dass diese negativen Effekte für die Outsider so negativ gar nicht sind, weil die mit angedockt sind – mit oder ohne Abkommen – an die Wertschöpfungsketten der europäischen und der amerikanischen Wirtschaft. Also wenn wir in Europa durch das Abkommen mehr Produktionen im Automobilbereich haben, dann werden auch mehr Kabelbäume nachgefragt aus Marokko und mehr Software-Engineering aus Indien und die werden dann in den deutschen, französischen oder englischen Automobilen verbaut und gehen dann in die USA. Die Outsider werden also mitgezogen, einfach weil sie Teil der Wertschöpfungsketten sind.

    Dann bleiben immer noch Verlierer übrig, aber die Zahl der Verlierer schrumpft und auch die Höhe der Verluste geht zurück.

  • Kann man sagen wer die Verlierer sind?

  • Wir können mit hoher Sicherheit sagen, dass die Verlierer im südostasiatischen Raum angesiedelt sein werden, aus zwei Gründen. Erstens, weil dort Länder sind wie China, die sich in der Struktur der Produktion deutlich an den EU-US-Standard angenähert haben. Wenn also die EU Marktanteile gewinnt in den USA, dann mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Kosten Chinas und umgekehrt; das heißt, dort wird man wahrscheinlich in der Tat Verluste sehen - keine gigantischen, aber negative Zahlen.

    Es gibt aber in der Region weitere Länder, wie zum Beispiel Laos, Kambodscha, Vietnam, die sehr arbeitsintensive Güter in die USA exportieren; ich nenne mal Turnschuhe, und die von den USA einen speziellen Zollvorteil bekommen haben. Sie dürfen also zollfrei diese Turnschuhe in die USA exportieren, während rumänische und bulgarische und portugiesische Anbieter, die auch Schuhe anbieten können, in den USA Importzölle haben von bis zu 35 Prozent, also eigentlich überhaupt keine Chance auf dem US-Markt haben.

    Machen wir jetzt das Abkommen, gehen die Zölle auf null, und plötzlich sehen sich die Schuhproduzenten aus Kambodscha in den USA im Wettbewerb mit denen aus Rumänen, die plötzlich auch zollfrei in die USA exportieren dürfen. Das könnte diese kleinen armen Ländern, die nur wenige, arbeitsintensive Produkte exportieren, einiges an Wohlstand kosten.

    Und dann gibt es auch Länder, die die falschen Produkte haben. Etwa im südamerikanischen Bereich an der Westküste, Chile, Peru. Die haben alle schon sehr tiefe Abkommen mit den USA. Diese Abkommen werden durch TTIP entwertet. Denn die glauben heute, sie haben einen speziellen, alleinigen Zugang auf den US-Markt. Und morgen aber haben die Rumänen und Polen, die ähnlich weit sind in der Entwicklung, genau denselben speziellen Zugang auf den US-Markt. Das könnte Anteile kosten.

    Gabriel Felbermayr, ifo Institut für Wirtschaftsforschung

  • Wurden aus ökonomischer Sicht Länder wie Indien, China, Russland absichtlich aus dem Abkommen ausgeklammert?

  • Aus amerikanischer Perspektive ist das Kleinhalten von China ja ein erklärtes Ziel. Obama hat immer wieder in seinen „State of the Union Speaches“ gesagt: „Wir wollen einen Handel, der frei und fair ist und wir wollen nicht, dass die Chinesen die Regeln des Welthandels schreiben“.

    Wenn man den modernen Rechnungen glaubt, dann gelingt das den Amerikanern einerseits mit TTIP und auch mit ihrem zweiten großen Projekt, mit dem TPP-Projekt, das durchaus auch Nord-Süd-Elemente hat, aber bei dem China auch außen vor ist.

    Jetzt ist die Frage, ob diese Tatsache dazu verleiten muss zu sagen: "Das ist Teufelswerk, wir wollen nur Abkommen haben, die mehr Gewinne generieren". Das, glaube ich, wäre zu kurz gegriffen, denn die Chinesen und auch die Russen, und auch die Inder, und die Brasilianer, haben genug Selbstvertrauen, haben große und wachsende Märkte, die machen selbst ihre Freihandelsabkommen.

    Übrig bleiben die, die keine attraktiven Märkte haben, die nicht die politische Führung haben, um selbst solche Abkommen zu schließen und durchzusetzen, also eher Afrika. Aber gerade da scheint sich jetzt was zu tun, die Afrikaner und die Afrikanische Union wollen die Integration des eigenen Kontinents voranbringen. Vielleicht ist das auch etwas, das sich erst aus TTIP und TPP ergibt, so ein bisschen Wachrütteln.

  • In Ihrer Studie prognostizieren Sie 300.000 mehr Arbeitsplätze durch TTIP, die Gegenseite sagt es seien bloß 12.000 - was entgegnen Sie dem?

  • Die Frage ist immer: Was sind denn die Rahmenbedingungen? Wir gehen davon aus, dass die Politik Willens und in der Lage ist, die Potentiale eines solchen Abkommens zu aktivieren. Das entspricht einem optimistischen Weltbild, aber vielleicht ist es nicht realistisch. Vielleicht ist von Europa im heutigen Zustand nicht zu erwarten, dass man aus diesen Möglichkeiten was macht. Dann bleiben am Ende nur die Bedrohungen: der höhere Wettbewerb durch amerikanische Unternehmen in Europa, unnütze Fesseln, unsinnige Regulierungen und so weiter.

    Gabriel Felbermayr, ifo Institut für Wirtschaftsforschung

  • Was sind Ihre Bedenken bei TTIP?

  • Es gibt eine ganze Reihe von Bedenken, die man haben kann. Eins davon ist sicherlich das Kleingedruckte. Es werden ja tausende Seiten von Text sein, es wird sehr viel Kleingedrucktes geben und das muss man sich sehr genau ansehen, denn es wird häufig von Lobbyisten geschrieben. Die großen Themen, die viel Aufmerksamkeit bekommen, werden auch in der Tat neu strukturiert und der Befindlichkeit angepasst. Viel gefährlicher sind die ganzen kleinen Dinge, die so unter dem Radar fliegen, die sich verstecken unter abstrakten Dingen. Die könnten die Effektivität des Abkommens reduzieren, die Diskriminierung stärken, die Nebenwirkungen haben, die wir als Zuschauer noch nicht erahnen können.

  • Geht es zwischen Befürwortern und Gegnern von TTIP wirklich um inhaltliche Fragen oder haben sie einfach grundverschiedene Ideologien?

  • Es hat ein bisschen was zu tun mit der Grundeinstellung, von der ich vorhin schon gesprochen habe. Also wenn ich der Meinung bin, das politische System ist total am Ende und es schafft es nicht, diese positiven Vorteile aus Freihandel allgemein zugänglich zu machen, dann sind wir schon am Ende. Dann brauchen wir das Abkommen nicht, dann ist es eigentlich egal, ob wir das Chlorhühnchen erlauben, oder es verbieten. Das sind dann nur Säue, die man durch das Dorf treibt, um noch ein altes Mütterlein zur Demonstration zu bringen, so ein bisschen motivierend und aufhetzend, aber da sind die eigentlichen Grundentscheidungen ist schon gefallen.

    Und dann sitzt man in Talkshows zusammen und tauscht die Argumente aus, der eine lacht den anderen aus und wer am lautesten schreit wird gehört. Aber eine echte Diskussion gibt es eigentlich nicht. Und, ja, es ist in der Tat, ideologieverseucht.

    Eher neu ist, dass man über das Internet viele Menschen erreichen kann, die dann ganz aufgeregt sind und die sich sagen „Es wird kein Oktoberfest mehr wie früher geben! Wenn mir das Wiesenhändl serviert wird, schlägt mir ja schon der Chlorgestank ins Gesicht“. Man holt die Leute da ab, wo ihr Bauchgefühl ist – das sind aber wirklich teilweise billige, falsche und fast schon unredliche Argumentationsweisen.

    Am Ende ist das Chlorhühnchen vielleicht sogar besser, als die nicht-gechlorten Hühnchen, die man bei uns kaufen kann, die dafür aber salmonellenbelastet sind. Darüber lässt sich streiten, aber dieser Streit wird nicht geführt. Das Symbol des Chlorhühnchens wurde für den Streit und letztlich zur Mobilisierung diskreditiert. Gut, das haben Ideologen immer getan: versucht, die Menschen in der Mitte irgendwie für ihre Positionen zu vereinnahmen. Sie kennen vielleicht das attac-Video in dem man mit sehr klugen und sehr effizienten Methoden Boden gewonnen hat. Auf Befürworterseite gibt es sowas nicht.

    Wenn Sie TTIP in Google eintippen, kommen im Prinzip erstmal 20 Treffer mit Spendenaufrufen, in denen aber nur die Gegenargumente zur Sprache kommen. Kampagnen von Befürwortern, die ähnlich aufgebaut und prominent sind, gibt es nicht.

  • Warum gibt es solche Kampagnen nicht von Befürwortern?

  • Weil da diese Businesslogik nicht so klar ist. Also wir versuchen hier objektive Forschung zu machen. Wir sind keine Kampagnenleute. Die Industrie- und Handelskammer macht keine Kampagnen, das ist nicht Teil des Selbstverständnis. Der BDI vielleicht noch eher, aber diese Art und Weise der Kommunikation ist etwas, das in den Lagern der Befürworter so nicht gelebt und gemacht wird. Ein Beispiel: Die große Chemieindustrie in Deutschland investiert in den letzten fünf Jahren eigentlich nicht mehr in Deutschland; stattdessen investieren sie in Texas, wo die Gas- und Rohstoffpreise sehr billig sind. Für die ist ein echtes Einstehen für TTIP mit politischen Risiken verbunden. Sie müssen die sich beschimpfen lassen, als Lakaien der Wall Street und als Verräter. Aber sie können viel verlieren, wenn sie sich deswegen nicht für TTIP einsetzen.

    Gabriel Felbermayr, ifo Institut für Wirtschaftsforschung

  • Sie haben ja gesagt, dass das Kleingedruckte eigentlich das ist, worauf man ein Augenmerk haben sollte. Wenn TTIP tatsächlich 2016 noch durchgedrückt wird und dann sehr schnell verhandelt wird, kann das dann sein, dass das Kleingedruckte nicht mehr genau genug gelesen wird?

  • Ja. Ich denke, dass wir 2016 ein Verhandlungsergebnis haben, wie wir das für CETA schon seit drei Jahren haben und es ist noch nicht mal vorläufig in Kraft gesetzt. In einer repräsentativen Demokratie muss es dann ein langes Zeitfenster geben, wo die verschiedenen Parlamente, Parteien und auch der Wähler sich diese tausend Seiten ansehen und sich ein Bild machen können. Und dann wird man ja wahrscheinlich pauschal Antwort geben müssen: will ich es, oder will ich es nicht. Es sieht so aus, als ob durchaus mehr Nachbesserungsmöglichkeiten existieren, als immer behauptet wurde. In dem Kanada-Abkommen wurde auch nachgebessert und nachverhandelt. Also das wird man mit dem USA-Abkommen vielleicht auch tun können. Also wenn 2016 ein Text auf dem Tisch liegt, dann ist das sozusagen ein Verhandlungsergebnis, der eine Etappe abschließt. Dann kommt die Ratifizierungsdebatte, die kann Jahre dauern. Und innerhalb dieser Etappe kann es durchaus sein, dass sich herausstellt, dass aber Österreich das Ding ablehnen wird, wenn nicht dies und das gemacht wird. Dann wird man an den Verhandlungstisch zurückkehren müssen.

    Das ist ein fein austariertes System: „Du hast Kompromisse gemacht, ich habe Kompromisse gemacht“. Es ist wie ein Kartenhaus, das gerade so steht. Und dann kommt irgendein Zwergstaat und hustet, und alles fällt zusammen. Da braucht man schon auch Verantwortungsgefühl von allen Seiten, aber dass man nochmal eingreifen kann, das glaube ich schon.

    Aber Zeit, während der die Öffentlichkeit diese Texte lesen kann, kann und muss man sicherlich verlangen. Aber da mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Wir wissen aus vergangenen Handelsabkommen, dass die Ratifikationsphasen oft pervers lange dauern. Beim Schengen-Abkommen hat die Ratifikation zehn Jahre gebraucht. Zehn Jahre!

  • Überholt die Zeit dann nicht alles, was in der Verhandlungsphase diskutiert wurde? Die Ausgangssituation kann in zehn Jahren ja eine ganz andere sein.

  • Ja, absolut. Ich finde das schrecklich. Aber da müssen eben die Spieler Verantwortungsbewusstsein zeigen, sonst wird das Ganze zu einer Farce. Wenn man es so lange rauszögert, dass zwischen Mandat und Ratifikation 15 Jahre liegen, dann hat man vielleicht etwas beschlossen, dass längst nicht mehr adäquat ist. Viel besser wäre es, wenn man von vorne herein sagt: in den Themen, die in diesen Abkommen wirklich strittig sind, machen wir Sunset-Klauseln hinein; also die Möglichkeit einer Revision in fünf oder zehn Jahren. Man kann dann sagen: „Okay, wir haben jetzt da dieses Investitionsschutzding vereinbart. Viele finden es scheiße, viele finden es großartig – lass es uns mal versuchen, aber es ist nichts für die Ewigkeit. Und wenn es wirklich dazu führt, dass Europa von Klagen überzogen wird und die Staatskassen ausgeplündert werden von irgendwelchen bösen Juristen aus den USA – wenn das wirklich so ist, dann haben wir hier eine Möglichkeit, das Ding zu stoppen“. Das fände ich viel besser und so kann man den Ratifikationsprozess vielleicht beschleunigen. Und das würde den Parlamenten vor allem viel Druck von den Schultern nehmen, weil die dann nicht etwas entscheiden müssen, das so furchtbar endgültig ist.

    Gabriel Felbermayr, ifo Institut für Wirtschaftsforschung

  • Momentan scheint TTIP ja – zumindest in der Öffentlichkeit – Endgültigkeit zu haben.

  • Hat es natürlich, aber es stimmt in dieser Brutalität auch nicht. Jeder Vertrag kann gekündigt werden. Und wenn der Konsens nicht mehr da ist, dann ist er halt nicht mehr da. Dann ist die Sache erledigt. Insofern finde ich diese Unterstellung der Endgültigkeit ungerechtfertigt. Wir sehen das sogar auch am Beispiel der EU: Nichts ist da endgültig. Es ist ziemlich tragisch. Die Briten treten einfach aus, wenn sie möchten. Und Schengen kann man einfach wieder revidieren, wenn man lustig ist. Da sieht man doch ganz deutlich, dass diese Abkommen, die – wie TTIP auch – alle völkerrechtlicher Art sind, überhaupt nicht endgültig sind.