Nicht alle Afrikaner sind bei der digitalen Revolution mit dabei. Wer auf dem Land wohnt, ist abgehängt, weil die Infrastruktur fehlt. Regierungen schalten das Internet ab, wenn ihnen ein Verhalten nicht passt. Und verhaften diejenigen, die die Freiheit des Internets nutzen wollen.

Wer verliert?

Digitalisierung bringt nicht nur Fortschritt und Freiheit

Nur zehn Prozent der Afrikaner leben in freien Staaten. Mobiltelefone und Internet könnten helfen, dass die anderen 90 Prozent auch etwas mehr von dieser Freiheit spüren. Denn wer Zugang zum Internet hat, kann regierungsunabhängig Informationen abrufen. Informationen verbreiten sich schneller, nichts kann mehr unter den Teppich gekehrt werden. Neue Blogs und Online-Medien tragen zur Meinungsvielfalt bei. Für die Regierungen wird es schwieriger zu ignorieren, was ihr Volk möchte – und was es von seiner Regierung hält. Über soziale Netzwerke formieren sich Bewegungen, die gegen Missstände angehen wollen. Unter #ThisFlag begann etwa im April 2016 Evan Mawarire, ein Pastor aus Simbabwe, seinen Unmut über die Zukunft seiner Heimat auf Twitter zu äußern. Er inspirierte zu landesweiten Protesten – virtuell. Kein Einzelfall: #endchildmarriage klagt Zwangshochzeiten von Kindern an, die Bewegung #feesmustfall demonstriert im Netz gegen Schulgebühren.

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Pastor Mawarire twittert mittlerweile nicht mehr. Er wurde im Februar verhaftet, weil er mit #ThisFlag die Autorität einer verfassungsgemäß gewählten Regierung untergraben habe. Darauf steht 20 Jahre Haft berichtet die Onlineausgabe des Time Magazine. Die Regierungen fangen an die Graubereiche, die sich durch die Digitalisierung ergeben haben, fester zu definieren. Sie wollen regulieren und Grenzen setzen. Die Folge: strenge Gesetze und zahlreiche Inhaftierungen. Im März 2015 wurde in Südafrika ein Entwurf für ein Online-Regulierungsgesetz vorgestellt. Die Behörde könnte dadurch jeden Inhalt aus dem Internet beliebig entfernen, wenn sie ihn als beunruhigend empfindet, erklärt eine Freedom-House-Studie zur Freiheit im Netz (FONT-Studie). Von der Electronic Frontier Foundation, die sich für Meinungsfreiheit im Internet einsetzt, wurde der Entwurf als “schlechtestes Online-Gesetz in ganz Afrika” abgestempelt. Dabei gilt Südafrika als eines der KINGS-Länder zu den fortschrittlichsten Ländern Afrikas, was Digitalisierung und Innovationen betrifft. Dem südafrikanischen Cybercrime and Cybersecurity Bill wirft die FONT-Studie vor, Meinungsfreiheit, das Recht auf Privatsphäre und den freien Zugang zu Informationen zu beschneiden. In Kenia, auch ein KINGS-Land, kann das Film Classification Board die Inhalte von Online-Videos zensieren. Der Geheimdienst hat Zugriff auf hochentwickelte Überwachungstechnik. In Malawi erlaubt der Electronic Transactions Bill der Regierung Online-Kommunikation einzuschränken, wenn die öffentliche Ordnung und die nationale Sicherheit gefährdet sein sollten.

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Es bleibt nicht bei theoretischen Gesetzen. Die FONT-Studie und zahlreiche ausländische Medien berichten immer wieder von gezielten Eingriffen durch die Regierungen: 2013 wurden 46 Facebooknutzer in Simbabwe verhaftet, weil sie angeblich einen ägyptischen Weg für das Land propagiert haben. In Angola wurde 2016 eine Gruppe von 17 Jugendlichen zu zwei bis acht Jahren Haft wegen Volksverhetzung verurteilt – wegen eines regierungskritischen Facebook-Posts, dessen Urheberschaft nicht ganz geklärt werden konnte. Seit ein Jahr zuvor Mails einer Überwachungsfirma gehackt wurden, wachsen die Bedenken über unrechtmäßige Überwachung durch die angolanische Regierung. In Äthiopien wurde Ende 2015 während Anti-Regierungs-Protesten das Internet- und Mobiltelefonnetzwerk unterbrochen. Die Regierung wollte verhindern, dass sich Berichte über die Proteste und Polizeigewalt verbreiten. Am 30. Mai 2017 schaltete die äthiopische Regierung das Internet erneut ab. Der Grund: Die nationale Prüfungen für Zehntklässler und der Eingangstest für die Universitäten standen kurz bevor. Die Schüler sollten am Schummeln gehindert werden. In Kenia wurden 2014 mehrere Bürger verhaftet, weil sie Kritik an der Regierung übten. Das Gesetz, auf dessen Grundlage die Bürger verhaftet wurden, gilt seit 2016 als verfassungswidrig. In Ruanda werden immer wieder Chefredakteure angewiesen, kritische und sensible Berichte nicht zu veröffentlichen oder wieder zu löschen. Ägypten sperrte im Mai diesen Jahres 21 Online-Nachrichtenseiten, weil sie Terrorismus unterstützen würden. Unter den gesperrten Seiten waren auch Al-Jazeera und die arabische Version der Hufftington Post. Auch Kamerun schaltete das Internet Anfang des Jahres ab, aber nur in den englischsprachigen Gebieten. Eine Reaktion der Regierung auf Massenproteste gegen die Französischpflicht an Schulen und Gerichten. Die Abschaltung des Internets beschneidet nicht nur die Freiheit des Einzelnen, es führt auch zu wirtschaftlichen Verlusten. Denn auch in Afrika arbeiten immer mehr Unternehmen digital – sie und ihre Kunden sind auf das Internet angewiesen. Alleine in Kamerun drohen wegen der teilweisen Abschaltung des Netzes Verluste in Millionenhöhe. Zahlreiche Firmen aus den französischsprachigen Teilen Kameruns wollen daher das Land verlassen, um sich der Willkür nicht länger auszusetzen.

Die Nutzer selbst sind kaum geschützt vor Überwachung und Staats-Willkür. Das Abkommen der Afrikanischen Union zu Cybersicherheit und Datenschutz haben zwar acht Länder unterschrieben, aber nur der Senegal hat das Abkommen auch ratifiziert. Über Datenschutz werde zwar schon geredet, sagt Hamadoun Touré, Geschäftsführer der Initiative Smart Africa. Allerdings gehe es erst einmal um Infrastruktur.

Zu Recht, wie es scheint: “Internet ist langsam und teuer”, erzählt Andreas Sieren. Sieren ist Journalist und lebt seit mehr als 15 Jahren in Afrika. Auch wenn Transparenz und mehr politische Teilhabe gute Gedanken von Digitalisierung wären, gehe es zunächst um Grundbedürfnisse wie Wirtschaft und Wohlstand. Menschenrechte und Datenschutz kommen erst später. Eine gute Internetverbindung ist auf die Hauptstädte und auf wirtschaftliche Zentren begrenzt. Obwohl es in den meisten afrikanischen Ländern mehrere Netzanbieter gibt, ist das Mobilfunknetz nicht flächendeckend ausgebaut. Wer zum Beispiel im ländlichen Sierra Leone sein Telefon benutzen will, klettert für besseren Empfang auf einen Mangobaum. Multiple SIM-Karten versuchen die Lücken im Netz auszugleichen, indem sie verschiedene Anbieter kombinieren. Afrikaner, die auf dem Land wohnen, werden von der digitalen Revolution ausgeschlossen. Aber auch zwischen den Staaten gibt es immense Unterschiede: Während in Kenia 82 Prozent der Bevölkerung Zugang zum Internet haben, sind es in Äthiopien nur zwölf Prozent. Laut der FONT-Studie gehört Äthiopien weltweit zu den Ländern, die am schlechtesten verbunden sind. Die Telekom-Infrastruktur ist kaum entwickelt. Und weil die Regierung ein Monopol hält, sind die Preise hoch. Ein dreiminütiges Video mit einer 4G-Internetverbindung zu gucken, kostet etwa zwei US-Dollar. Das entspricht dem Tageslohn eines normalen Arbeiters. Kenias Internetverbindung hingegen ist schneller als der weltweite Durchschnitt und vergleichsweise günstig. Michael Pittelkow arbeitet für SAP in Afrika. Er beschreibt den Fortschritt der Digitalisierung als “kongruent zur Stabilität eines Landes”. Es scheint also nicht verwunderlich, dass vor allem Staaten in Ost- und Südafrika eine relativ gute Infrastruktur vorweisen können.

Der durchschnittliche Nutzer von Internet und Mobiltelefon lebt also in der Stadt, im Osten oder im Süden des Landes, und eher an den Küsten des Kontinents, wo die Glasfaserkabel unter Wasser verlaufen. Der durchschnittliche Nutzer ist männlich. Denn traditionell haben Männer mehr Bildung als Frauen. In Sub-Sahara-Afrika liegt die Alphabetisierungsrate von Männern nach UNESCO-Angaben bei 71 Prozent. Von den Frauen kann nur die Hälfte lesen und schreiben. Aber Bildung ist wichtig, um mit der neuen Technologie umgehen zu können.

Die Digitalisierung trennt die afrikanische Gesellschaft, in arm von reich, gebildet von ungebildet, das Land von den Städten, politisch stabile von politisch instabilen Staaten, die Küsten vom inneren des Kontinents. Die Unterschiede könnten sich weiter verstärken – oder verringern. Das hängt davon ab, ob die afrikanischen Regierungen es schaffen, den inklusiven Charakter von Digitalisierung auf dem ganzen Kontinent umzusetzen. Es besteht die Gefahr, dass nur die zehn Prozent der Afrikaner von der digitalen Revolution profitieren, die schon in freien Staaten leben. Und dass die Chancen für den Rest des Kontinents verspielt werden. Bereits 2016 stellte eine Studie der Alliance for Affordable Internet fest, dass frühestens 2042 alle online sind. Dieses UN-Entwicklungsziel sollte eigentlich bis 2030 erreicht sein.