Als der erste Bitcoin aus dem Nichts erschaffen wurd, war er eine Randidee, die von Libertären (≠ Liberale) und Verschwörungstheoretikern unterstützt wurde, die ein tiefes Misstrauen gegenüber der Regierung hegten und allgemein rechtsextreme (sogar antidemokratische) Überzeugungen hatten. Jetzt ist Bitcoin – und Kryptowährungen im Allgemeinen – in den Mainstream übergegangen: Startups, die etwas mit "Crypto" machen, sind im Silicon Valley der heiße Scheiß, während die Zahl der Krypto-Währungen inzwischen in die Tausende geht. Viele Linke und Rechte sprechen ernsthaft über das Potenzial für Blockchain-Anwendungen – einschließlich des Potenzials für sichere Wahlen. Währenddessen ermöglichen namhafte Websites ihren Lesern, ungenutzte Rechenleistung zu spenden, um Journalismus zu finanzieren.

 

Doch das Ausmaß, in dem Kryptowährungen in die Mainstream-Politik Einzug gehalten haben, verkennt ihre rechten Hintergründe. David Golumbia, Professor an der Virginia Commonwealth University, der das Buch "The Politics of Bitcoin: Software as Right-Wing Extremism" veröffentlicht hat, spricht über die rechtsextremen Ideen und Verschwörungstheorien, die nicht nur die Erfindung der Kryptowährungen inspirierten, sondern die jetzt, manchmal unbewusst, von vielen Befürwortern auf der rechten und linken Seite verwendet werden.

 

Keith Spencer sprach mit Professor Golumbia über den rechtsextremen Hintergrund von Bitcoin und wie Kryptowährungen dazu beitragen, einige der Randbereiche des rechten Denkens zu normalisieren. Dieses Interview wurde für die Veröffentlichung übersetzt und geglättet.

 

Doch das Ausmaß, in dem Kryptowährungen in die Mainstream-Politik Einzug gehalten haben, verkennt ihre rechten Hintergründe. David Golumbia, Professor an der Virginia Commonwealth University, der das Buch "The Politics of Bitcoin: Software as Right-Wing Extremism" veröffentlichte, spricht über die rechtsextremen Ideen und Verschwörungstheorien, die nicht nur die Erfindung der Kryptowährungen inspirierten, sondern die jetzt, manchmal unbewusst, von vielen Befürwortern auf der rechten und linken Seite verwendet werden.

 

Professor Golumbia sprach über den rechtsextremen Hintergrund von Bitcoin und wie Kryptowährung dazu beiträgt, einige der Randbereiche des rechten Denkens zu normalisieren. Dieses Interview wurde für die Veröffentlichung übersetzt und geglättet.

Bitcoin, rechte Verschwörungstheorien und der Mainstream

Interview: Die dunklen Hintergründe von Kryptowährungen

  • In Ihrem Buch haben Sie erwähnt, dass die Leute, die an der Entwicklung von Kryptowährungen mitgearbeitet haben, extrem rechte Überzeugungen hatten. Könnten Sie kurz etwas über diese rechten Hintergründe und die Menschen, die dahinterstecken, sagen?
  • Gerne. Es gab zwei sich überschneidende Gruppen von Menschen, von denen die meisten Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre im Silicon Valley in Kalifornien waren. Einer der Hauptakteure war ein Typ namens Timothy May, ein Elektrotechniker bei Intel, der durch seine Arbeit reich wurde und sich mit einem großen Batzen Geld zurückzog. Er gründete in den späten 1980er, frühen 1990er Jahren ein Ding namens "Crypto Anarchy", das im Grunde genommen eine Mailingliste war.
    Daneben gab es einen anderen Kerl namens Eric Hughes, der sich mit May anfreundete. Hughes startete eine E-Mail-Liste namens Cypherpunk, deren Name von "Cyberpunk" abstammt, was der Name für eine von digitaler Technologie inspirierte Art Science-Fiction war. Hughes war einer der Gründer der Electronic Frontier Foundation und obwohl es einige kleine Unterschiede gibt, sind "cypherpunk" und "crypto-anarchy" im Grunde genommen ein Name für dieselbe Bewegung.
    Die beiden schrieben zwei Manifeste, in denen es darum ging, dass Regierungen das Bösartigste sind, das es je gab, und Steuern damit das Bösartigste sind, was je durchgesetzt wurde. Und Kryptographie – sie waren begeisterte Anhänger von Verschlüsselungstechnologie – war die neue Waffe, mit der sie all das ausradieren wollten.
    Natürlich gibt es linke Anarchisten, aber die beiden waren keine linken Anarchisten. May selbst hat sich als ein ziemlich rassistischer, sexistischer, beunruhigender Mensch herausgestellt. Beide stellten das Zentrum einer ganz bestimmten Gruppe von Hackern dar, mit radikalem, extrem aggressivem Gedankengut. Diese Mailingliste [Crypto Anarchy, d. Red] war damals sehr beliebt.
    Eine Menge Leute, die heute teils prominent sind, gehörten dazu. Ein Mitglied der Mailingliste war etwa Julian Assange, wahrscheinlich der berühmteste. Assange war politisch etwas gemäßigter als einige der Leute, die auf der Liste standen. Man kann ihre Manifeste lesen – und die sind denen der Teaparty sehr ähnlich. Sie hassten alles an der Regierung, alles an der Demokratie. Insbesondere Timothy May spricht in den allerersten Versionen dieser Manifeste davon, dass es eine Form von Bargeld braucht, die außerhalb des staatlichen Systems liegt. Er dachte, dass es ihnen die Entwicklung dieses Systems erlauben würde, den Staat zu demontieren. Er dachte wirklich, dass Bargeld außerhalb des Systems so unauffindbar wäre, dass die Regierung nicht in der Lage wäre, es zu besteuern. Die Staatseinnahmen würden versiegen, weil jeder diese alternative Form des Bargeldes nutzen würde.
    Im frühen Bitcoin-Diskurs schienen viele Leute zu glauben, dass man mit Kryptowährungen keine Steuern zahlen müsste, weil sie außerhalb der staatlichen Kontrolle lägen. Es gibt Reddit-Threads, in denen Steuerberater erklären, dass Bitcoins ganz normale Vermögenswerte sind und man damit Profit machen kann, wenn man sie verkauft. Es spielt keine Rolle, welchen Vermögenswert man verkauft und damit Gewinn macht: Du musst Steuern zahlen. Es ist so, als ob man ein wertvolles Gemälde oder sonst irgendetwas verkauft. Die Bitcoin-Leute begreifen das aber nicht.
    Aber Hughes, May und Nick Szabo, und viele andere Leute, deren Namen man immer noch in den Bitcoin-Foren sieht, haben eine Digitalwährung nach der anderen erstellt. Diese Projekte haben oft das Wort "Gold" in ihren Namen aufgenommen, also gab es "Digital Gold" und "E-Gold".
    Das waren alles ziemlich schlechte Projekte und natürlich sind alle verboten worden, weil sie sofort für illegale Aktivitäten benutzt wurden. Bitcoin ist vermutlich Version 12. Ich denke, die meisten Leute vermuten, dass Satoshi Nakamoto einer oder mehrere dieser Leute [Hughes, May, Szabo] ist/sind, weil Bitcoin das Projekt ist, an dem sie schon immer gearbeitet haben.
    Ich sollte erwähnen, dass ich in meinem Buch ziemlich genau erkläre, was ich in diesem Zusammenhang mit Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien meine und wie diese mit anderen Formen rechten Gedankenguts zusammenhängen. Seit der Veröffentlichung meines Buches hat sich gezeigt, wie bestimmte Leute im rechten Flügel – die nicht zur ursprünglichen Gruppe der Kryptowährungs-Befürworter gehörten – sich für Kryptowährungen stark gemacht haben. Heute haben wir “echte” Nazi-Gruppierungen, die von Bitcoin begeistert sind. Weev (Andrew Alan Escher Auernheimer), aktuell einer der lautesten Nazis weltweit, ist dabei. Es gibt einen großartigen Twitter-Account, der Weevs Bitcoin-Wallet verfolgt – jede Transaktion, die daraus hervorgeht, zusammen mit denen einiger anderer Neonazis. Leute wie Richard Spencer und Stefan Molyneux und andere wichtige "Alt-Right"-Protagonisten stecken tief drin in Bitcoin.
    Die tatsächliche Verbindung zwischen der extremen Rechten und Bitcoin ist deutlicher und stärker geworden, seit ich angefangen habe darüber zu schreiben.
  • Wenn man das alles im Zusammenhang betrachtet, dann ist es schon interessant, dass sich viele Menschen, die sich selbst als liberal oder sogar links sehen, von Kryptowährungen begeistert sind. Ich wäre sehr misstrauisch, wenn ich das alles wüsste.
  • Die meisten Menschen kennen die Geschichte nicht, was völlig verständlich ist. Wenn Leute Blockchains aber für ihre eigenen politischen Projekte nutzen wollen, dann sollten sie meiner Meinung nach selbst etwas mehr Nachforschungen anstellen. Natürlich kann Bitcoin für linksgerichtete Projekte oder für nicht rechtsgerichtete Projekte verwendet werden. Ich finde jeder kann 10.000 Dollar nehmen und in jedes beliebige Projekt stecken, an das er glaubt. Aber was beweist das?
  • Was hat Sie inspiriert, dieses Buch zu schreiben? Gab es ein "Aha"-Erlebnis?
  • Nun, ein wichtiger Faktor war, dass ich ungefähr 10 Jahre lang mit Finanztechnologien an der Wall Street gearbeitet habe. Um das zu können, muss man sich wirklich mit den Grundlagen des Finanzwesens beschäftigen. Damals habe ich gelernt, dass es eine Menge Verschwörungstheorien über die Finanzbranche gibt – viele davon haben mit Gold zu tun und einige mit der Federal Reserve.
    Als Bitcoin anfing groß zu werden, bemerkte ich, dass die alten Verschwörungstheorien, die ich von der Wall Street kannte, mit alarmierender Regelmäßigkeit in den Diskussionen rund um Bitcoin auftauchten. Die Leute nahmen sie ernst, was mich überraschte. Solche Theorien waren in der Technikbranche vorher nicht verbreitet und plötzlich waren sie Mainstream. Und je mehr ich mich darin vertiefte, desto mehr fand ich.
  • Welche Beispiele für die Verschwörungstheorien gibt es rund um den Diskurs mit Bitcoin und Kryptowährung?
  • Ich würde sagen, es gibt drei, die wirklich interessant sind, und die sind miteinander verknüpft. Zwei von ihnen haben mit Gold zu tun, vor allem mit dem Goldstandard und mit der Bedeutung der Federal Reserve.
    Über den Goldstandard gibt es diesen sehr seltsamen Gedanken, dass die Verankerung des Wertes der Währung in einem Basiswert, wie etwa Gold, die Stabilität der Währung auf eine Art und Weise garantiert, die anders nicht hergestellt werden kann. Die Geschichte der Metallstandards ist faszinierend, aber man muss sich nicht großartig mit ihr beschäftigen, um Widersprüche zu entdecken – etwa den Streit darüber, ob wir sie haben sollten, oder Verschwörungstheorien wie "Sie [Anm. d. Red.: Die Regierungen] wollen den Goldstandard abschaffen, weil sie uns all unsere Edelmetalle wegnehmen wollen". Das geht schon seit Hunderten von Jahren so. Im 19. Jahrhundert hatten die USA einen doppelten Metallstandard, Silber und Gold. Als wir zum Goldstandard wechselten, dachte man, dass die Rothschild-Bankerfamilie das ganze Silber kontrolliere und sie uns irgendwie vom Silberstandard abbringen würden, weil sie mit dem Silber reich werden wollten. Das waren antibritische, antijüdische Verschwörungstheorien.
    Was genau ein Metallstandard mit einer Währung macht, ist die eigentlich faszinierende Frage. Und die ist wirklich kompliziert. Einem Metallstandard liegt einiges an Willkür zugrunde, und Willkür ist paradoxerweise genau das, was ihre Anhänger glauben damit [Anm. d. Red: mit Bitcoin] loszuwerden. Auf irgendeiner Basis muss entschieden werden, dass Gold soundsoviel wert ist. Sein Wert hängt mit der Währung in irgendeiner Art zusammen und das hat uns tatsächlich in Schwierigkeiten gebracht. Etwa 30 Jahre lang legten die USA einfach fest, was Gold in Relation zum Dollar wert war. Das war nicht wirklich der Preis, zu dem Gold auf dem Markt gehandelt wurde. Dadurch kam es überall auf der Welt zu verrückten Anreizen, mit Gold zu spekulieren. Das war alles nur ein großes Durcheinander – der Goldstandard alleine schafft noch keine Ordnung.
    An der Wall Street sieht man Leute, die versuchen Gold zu verkaufen. Die erzählen immer: "Der Dollar ist dabei, seinen Wert zu verlieren. Die Aktien sind im Begriff, ins Leere zu stürzen. Du solltest stattdessen Gold kaufen, denn dort wird der Wert stabil sein." Sie sagen aber nie: "Schau mal, so sieht die Statistik des Goldpreises im Laufe der Jahre aus." Denn der schwankt genauso sehr wie alles andere. Er hält nicht, was er verspricht. Das ist eine der Verschwörungstheorien, die in der Krypto-Währungsgemeinschaft verbreitet sind.
    Dann gibt es noch die Verschwörungstheorie über die Federal Reserve, die genau genommen eine antisemitische Verschwörungstheorie ist – sie hat mit dem Zentralbankwesen zu tun und das ist eine längere Geschichte.
    Es ist richtig, dass zu einem früheren Zeitpunkt Zentralbanker auch die Leute waren, die die realen Banken besaßen und von dem, was die Zentralbank finanz- und fiskalpolitisch tat, persönlich profitieren konnten. Aber diese Zeiten sind längst vorbei. Die Federal Reserve ist eine streng regulierte Organisation. Man kann kein Beamter der Federal Reserve sein und persönlich in irgendeiner Weise von der Politik der Federal Reserve profitieren. Die Federal Reserve druckt nicht nach Belieben Geld, wie ständig behauptet wird.
    Es gibt dieses sehr verbreitete antisemitische Klischee, dass die Zentralbankbeamten böse gierige Bankiers sind, die die Öffentlichkeit manipulieren, um sich selbst zu bereichern. Ich sollte an der Stelle vorsichtig sein, weil ich schon einmal dafür kritisiert wurde. Ich sage nicht, dass man die Federal Reserve nicht kritisieren darf. Wie jede andere Institution kann und sollte sie kritisiert werden. Ich sage in keiner Weise, dass ihre Politik oder die anderer Zentralbanken die richtige ist, aber sie ist sicher keine Brutstätte des Bösen und es sind keine "korrupten Bankiers", die das Weltgeschehen manipulieren.
    Die dritte Theorie, die in vielerlei Hinsicht interessanter ist, betrifft die Entstehung von Inflation. Das ist nicht so sehr eine Verschwörungstheorie, aber ein wirklich interessanter Teil des rechtsextremen Wirtschaftsgedankentums, das ein bisschen in andere Verschwörungstheorien überging. Wenn Ökonomen über Inflation sprechen, meinen sie im Normalfall, dass die Preise für Waren gestiegen sind – also ist es schwieriger, ein Auto zu kaufen oder was auch immer, weil das Auto mehr Geld kostet als früher.
    Eine der Ursachen der Inflation kann eindeutig "Mehr Geld drucken" sein. Wenn man beginnt, viel Geld in die Wirtschaft zu stecken, verdoppelt man beispielsweise die Anzahl der Dollar, dann ist das Ergebnis im Allgemeinen, dass man mit einem Dollar die Hälfte von dem kaufen kann, was man vorher kaufen konnte. Das ist eine Möglichkeit, um Inflation zu erzeugen. Aber das ist nicht der einzige Grund für Inflation. Inflation geschieht aus allen möglichen Gründen. Der politisch rechts angesiedelte Milton Friedman sagt gerne, dass die Inflation ausschließlich durch das Drucken von Dollars verursacht wurde. Doch das ist nur eine ideologische Sichtweise, die nichts mit der Realität zu tun hat. Wenn man die Inflation als das Erzeugen von neuen Kryptowährungs-Einheiten definiert, was dazu führt, dass der Warenpreis keinen Einfluss auf die Inflation haben soll, dann ist man wieder im Reich der Verschwörungstheorie. Diese Sichtweise macht einen sprachlos, viele Bitcoin-Nutzer vertreten sie aber, wovon ich mich schon oft selbst überzeugen konnte.
    Zwischen Januar 2018 und jetzt (Juni 2018) ist der Preis von Bitcoin von $20.000 auf etwa $7.000 US-Dollar gefallen. Er verlor mehr als zwei Drittel seines Wertes. Abhängig davon, wie wir es berechnen, sind das etwa 300% bis 400% Inflation, oder? Was man mit einem Bitcoin kaufen kann, hat sich enorm verringert. Du brauchst viel mehr Bitcoins, um das Gleiche kaufen zu können. Innerhalb eines halben Jahr hatte der Bitcoin also eine Inflation von ein paar Hundert Prozentpunkten.
    Aber wenn Sie sich mit Bitcoin-Fanatikern streiten, werden die immer noch sagen: "Bitcoin ist eine stabile Wertanlage im Gegensatz zum US-Dollar ... Bitcoin ist sicherer für dein Geld." Und wenn man sagt: "Bitcoin hatte doch eine Inflation von Hunderten von Prozentpunkten, in einer Zeit, in der sich der Dollar kaum bewegt hat." Dann antworten die: "Wie bitte? In dieser Zeit wurden doch nur noch wenige Bitcoins geschürft. Das ist nichts." Das ist eine krasse  Fehlinterpretation der Inflation.
    Sie hängt mit der ersten Verschwörungstheorie über Gold zusammen, denn es gibt die Vorstellung, dass Geld eine Sache ist, die man sehr schnell und einfach verstehen könne. Aber Geld ist eigentlich unglaublich kompliziert zu verstehen. Was ist Geld? Wie funktioniert Geld? Das ist ein wirklich schwieriges Thema – ich wünsche mir, dass es so einfach wäre, dass ich den Goldpreis beobachten könnte und dann wüsste, wie viel mein Geld wert ist. Aber so einfach ist es nicht.
  • In Ihrem Buch sprechen Sie über die Definition einer Währung und warum der Bitcoin keine Währung ist. Können Sie mehr dazu sagen?
  • Das ist gerade das, was so kompliziert ist. Ich sage es einmal so: Eine Währung ist eine Art Wertpapier, das jemand emittiert [Anm. d. Red.: ausgegeben] hat und das normalerweise an den Wert des Geldes gebunden ist.
  • Das erinnert an Spielgeld im Casino, dort kann man keine echten Münzen einsetzen, man muss sie in Jetons umtauschen. Solche Jetons sind technisch gesehen also eine Währung, richtig?
  • Sie sind grundsätzlich eine Währung und haben einen entsprechenden Geldwert – aber man kann Geld nur im Sinne nationaler oder anderer Währungen begreifen. Deshalb ist es so schwierig, Geld zu verstehen. Es ist eine abstrakte Sache. Von der gemäßigten Rechten bis zur Linken ist die allgemein akzeptierte Definition einer Währung, dass sie drei Funktionen hat: Als Wertanlage, als Tauschmittel und als Rechnungseinheit.
    Im Allgemeinen geht es bei Währungen vor allem um die Tauschfunktion. Das bedeutet, dass Sie damit Dinge kaufen und verkaufen können. Das ist es, wofür Bitcoin entwickelt wurde; deshalb nennen wir es eine "Kryptowährung". Aber in Wirklichkeit ist der Bitcoin diesen Ansprüchen bislang kaum gerecht geworden.
    In ihrer Funktion als Rechnungseinheit legt die Währung Preise für Waren und Dienstleistungen fest. Die Funktion als Wertanlage ist die interessanteste im Bezug auf Kryptowährungen. Die Idee der Wertanlage ist, dass das Wertpapier im Laufe der Zeit relativ stabil in Bezug auf die Märkte sein sollte. Sie sollten in der Lage sein, einige Ihrer Waren im Mai zu verkaufen und Ihre Erlöse auf der Bank oder unter Ihrer Matratze oder wo auch immer aufzubewahren. Ein Jahr später sollten Sie in der Lage sein, ungefähr den gleichen Betrag zu erhalten. Etwa Wertpapiere, die sollten gleich viel wert sein wie ein Jahr zuvor.
    Bitcoin ist genau dafür nicht ausgelegt. In vielerlei Hinsicht ist es dafür entwickelt worden, genau diese Eigenschaft einer Währung nicht zu haben. Die Leute von Bitcoin haben versucht, "Wertanlage" neu zu definieren, als etwas, das mit der Zeit nach oben geht. Das ist aber absolut nicht das, was Wertanlage bedeutet. Auch wenn es sich gut anhört, kann etwas, das im Wert nach oben geht, auch wieder nach unten gehen. Es gibt kein Finanzprodukt, das im Wert nur steigen kann.
    Es ist sehr interessant, über diese Definition von Geld zu diskutieren, weil das keine absolute Definition von Geld ist – es ist eine beschreibende Definition. Es gibt Wissenschaftler, die sich angesehen haben, wie Währungen und Volkswirtschaften im Laufe der Geschichte funktioniert haben – und die sagen: "Okay, es gibt genau diese drei Eigenschaften, die alles beschreiben, was als Währung funktioniert hat."
    Man kann nicht gegen eine beschreibende Definition argumentieren, es sei denn, man spielt wirklich nur mit Worten. Wir sind angeblich "staatsliebende Banker", wenn wir sagen, dass Bitcoin offensichtlich keine Währung sein kann. Die Kryptobefürworter haben sich teilweise von dieser Währungsdefinition zurückgezogen, weil Bitcoin so wenig als Tauschmittel verwendet wird – aber das ist die offensichtlichste Funktion einer Währung. Niemand will Bitcoins als Tauschmittel benutzen! Und zwar aus dem einfachen Grund, dass sie keine gute Wertanlage sind, dass man den Erlös aus dem Verkauf von Waren und Dienstleistungen nicht in Form von Bitcoins aufbewahren kann. Man muss schnell ein- und aussteigen. Das stellt sich oft als teuer heraus.
  • Eines der erschreckendsten Dinge, die Sie in dem Buch ansprechen, ist, dass viele Silicon-Valley-Koryphäen, wie etwa Marc Andreessen, die gleiche rechtsextremen Sprache und die gleichen Verschwörungstheorien reproduzieren, die es in der Politik rund um Bitcoin gibt. Es ist, als wüssten sie nicht, was sie tun. Was ist da los?
  • Ich wünschte, ich würde das besser verstehen. Ich erinnere mich, dass Andreessen vor vielen Jahren einen Artikel in der New York Times veröffentlicht hat, mit dem Titel "Why Bitcoin matters". Die Teile, in denen es um Finanzen ging, waren etwas näher an der Realität als man es sonst liest, aber er sprach auch ein paar Verschwörungstheorien an. Ich und ein paar Freunde waren auf Twitter mit ihm vernetzt und sagten: "Einige der Dinge, von denen du sprichst, wird es nur geben, falls Bitcoin die einzige Währung der Welt wird. Aber das wird sicher nicht passieren". Ich glaube nicht, dass er sich der Verschwörungsaspekte bewusst war. Sein Partner Balaji Srinivasan, ebenfalls CTO einer der größten Krypto-Währungsbörsen, Coinbase, ist besser mit Verschwörungstheorien vertraut als Andreesen. Jack Dorsey [Anm. d. Red.: Gründer und CEO Twitter] sagte kürzlich, dass er glaubt, dass Kryptowährung die Zukunft ist und, dass "die Welt letztendlich nur eine einzige Währung haben wird". Das ist für mich eine Verschwörungstheorie.
    Lassen Sie mich erklären, warum das so ist. Natürlich muss man, wenn man heute ein Finanztechnologieunternehmen oder sogar ein Finanzunternehmen sein will, ein Team haben, das auf die eine oder andere Weise an Blockchain oder Kryptowährung arbeitet. Das liegt daran, dass die Berater und die Vizepräsidenten, Aufsichtsräte und alle anderen wissen wollen, wie Ihre Blockchain-Strategie aussieht. So ist das bei jeder neuen Technologie, jedem neuen Entwicklungsparadigma und jedem neuen Geschäftsmodell. Das ist ein bisschen dumm, aber es ist verständlich und ich bin sicher, dass die Leute so einige sehr interessante, wenn auch nicht revolutionäre Anwendungen für einen Teil der Technologie finden werden. Diese Leute mussten in ihrer eigenen Testumgebung arbeiten.
    Das ist in Ordnung, aber sie machen nicht bei jedem Mist mit. Wenn sie dagegen die Risikokapitalgeber und einige der Technologieunternehmer ansehen ... Andreessen Horowitz ist so ein Unternehmen, das sich auf einer gewissen Ebene sehr intensiv mit dem Finanzsystem auseinandersetzen muss. Man kann sich nur wundern, wenn genau diese Leute dann mit diesen Theorien hausieren gehen, obwohl sie vermutlich wissen, dass sie nicht stimmen. Das sehe ich definitiv in der ICO-Branche. Ich denke, viele dieser Produkte wurden absichtlich von Leuten so entwickelt, die ganz genau wussten, dass man damit andere abzocken kann und und die Kryptowährungen überhaupt nicht das sind, was die Menschen erwarten.
  • Ein Kapitel in Ihrem Buch entkräftet einige der Mythen über das Potential der Blockchain. Es scheint, dass es Leute gibt, die skeptisch gegenüber Kryptowährung sind, aber die Blockchain für eine coole und interessante Idee halten – Sie sprachen zum Beispiel von "Smart Contracts", also digitalen Verträgen, die Blockchaintechnologien verwenden, um eine Vertragseinhaltung ohne menschliches Zutun durchzusetzen. Einer Ihrer Hauptpunkte war, dass einige rhetorische Kunstgriffe verwendet werden, beispielsweise Smart Contracts als dezentral und autonom zu bezeichnen – was nur Schlagworte sind, die vielleicht gut klingen, aber nicht viel bedeuten.
  • Sie bedeuten nicht viel, und sie entstammen oft tiefen und sehr schwer zu verstehenden Überzeugungen dieser Personen. Ich erwähnte einige ziemlich bekannte Verschwörungstheorien, aber ich begann mich auch zu fragen, ob, wenn Leute das Wort "Mittelsmann" verwenden, das nicht auf irgendeiner Ebene auch eine Art Verschwörungstheorie ist. Diese Leute sagen, wir müssten "den Mittelsmann eliminieren" und alles würde besser werden. Das stimmt wahrscheinlich nicht, aber es lockt Andere auf Ihre Website, weil die denken "Oh, dieser schreckliche Mittelsmann, den müssen wir loswerden.” Das ist zumindest ein Hinweis auf "illegitime/parasitäre Profiteure, die sich in eine anderweitig korrekte Transaktion einmischen" – eine klassische Form der antisemitischen Verschwörungstheorie.
    Sicherlich gibt es einige Branchen, in denen es Mittler gibt, die mit Transaktionen, die nicht wirklich notwendig sind, Geld verdienen. Vielleicht erzeugen die nicht wirklich einen Mehrwert für das System. Blockchain oder eine andere Technologie könnte diese Mittler ersetzen. Ich denke, das ist in Ordnung. Aber das ist von den politischen Versprechungen, die die Blockchain-Befürworter machen, weit entfernt.
    Auch die Sache mit dem "smarten Vertrag" ist eine politische Idee. Ich denke, viel davon hängt an Worten – Nick Szabo, ein langjähriger Krypto-Enthusiast, schuf den Begriff “Smart Contract". Das lässt die Leute denken, dass ein "smarter Vertrag" dasselbe ist wie ein Vertrag zwischen Menschen, was er aber nicht ist.
    Szabo nannte es natürlich so, weil Verträge eine wirklich wichtige Rolle in der rechten politischen Philosophie spielen. Es ist die einzige legitime Möglichkeit, Aktivitäten zwischen verschiedenen Menschen zu koordinieren. Ohne Vertrag ist aus ihrer Sicht alles ungültig.
    Juristen haben sich angesehen, was diese intelligenten Verträge wirklich können und sie sind nicht wirklich so etwas wie das, was wir normalerweise Verträge nennen. Wenn sie es wären, wäre das wahrscheinlich sehr unattraktiv.
    Viele so hoch gelobte Funktionen der Blockchain scheinen in einem Vertragssystem wirklich kontraproduktiv zu sein, was es sehr schwierig macht, diese “Verträge” automatisch auszuführen. Übrigens, wir haben schon viele Möglichkeiten der automatischen Ausführung von Verträgen, ohne Blockchain und Smart Contracts. Niemand ist der Meinung, das sei etwas schlechtes. Wenn man Aktien von einem Broker kauft, wird ein Teil dieses Vorgangs automatisch ausgeführt. Das könnte irgendwie ersetzt werden, nehme ich an, aber womit?
    Ich bestreite nicht, dass die Blockchain etwas Nützliches bewirken kann. Aber ich denke, sie wird dem Hype nicht gerecht werden. Der Hype ist sehr politisch und oft sehr destruktiv.
  • Trotz der rechten Hintergründe gibt es viele eher nach links orientierte Menschen, die in Kryptowährungs- und Blockchaintechnologien Möglichkeiten für fortschrittliche politische Projekte sehen. Zum Beispiel erwägt Berkeley in Kalifornien, eine Kryptowährung zu entwickeln, um Bürger Kommunalanleihen kaufen zu lassen. Außerdem ist die Verwendung von Blockchain für die Stimmabgabe ein weit verbreitetes politisches Ziel. Was halten Sie davon?
  • Ich streite mich manchmal mit Anderen darüber. Es ist absolut klar: Diejenigen, die das Zeug gebaut haben, haben es gebaut, um den  Staat zu zerstören. Vor diesem Hintergrund frage ich: Wird Kryptowährung auch nur eines unserer sozialen Probleme lösen?
    Manche Leute, die diese rechten Ansichten nicht teilen, haben trotzdem das Bedürfnis, Bitcoin für sich zu nutzen – die politischen Hintergründe blenden sie dafür aus. Das erscheint mir kontraproduktiv. Wir haben das immer und immer wieder gesehen. Wir bekommen diese technologischen Versprechungen, die irgendwie die politischen Bedürfnisse aller erfüllen sollen, aber sie wurden immer noch nicht erfüllt. Leute wie ich und andere sagen immer wieder: "Hört auf, diesen Versprechungen zu glauben. Sie sind Mist, es sei denn, man teilt die Überzeugungen, aus denen sie entstanden sind."
    Die Versprechungen sind ein größeres Problem als die eigentliche Technik. Es ist interessant, wie persönlich verletzt Menschen sind, wenn man sagt: "Schau. Das sind rechte Verrückte, die den Staat und demokratische Regierungen abschaffen wollen, die Demokratie und die Gleichberechtigung. Warum verschwenden wir unsere Zeit damit?"
    Jetzt mal zu den konkreten Fällen: Wenn man sich einen dieser Anwendungsbereiche ansieht, wie z.B. Wahlen, die Ausgabe von Kommunalressourcen, Anleihen und dergleichen, dann gibt es in all diesen Bereichen bereits interessante technologische Infrastruktur. Ob Blockchain in einer neuen Version eine Rolle spielen könnte, ist für mich eine offene Frage.
    Wenn man sich die eigentlichen Blockchain-Anwendungen für Wahlen anschaut sind die nicht wirklich "Blockchain", so wie man den Begriff normalerweise versteht: Sie stellen keine Sachen in irgendein öffentliches, verteiltes Buch mit Leuten, die Kryptowährungen schürfen. Es werden nur kleine Teile der Hashing- und Kryptografie-Technologie verwendet, weil die eigentliche Blockchain viel zu ressourcenintensiv ist. Wie mein Freund David Gerard sagt, geht es beim Mining darum zu beweisen, wie viel Energie man verschwenden kann – und je mehr Energie man verschwenden kann, desto höher fällt die Belohnung aus. Das ist ein schreckliches Modell für jede Art von Software.
    Man will doch, dass die Dinge effizient laufen, oder? Man möchte nicht die meiste Energie verbrauchen, man möchte die wenigste Energie verbrauchen. Die Idee, dass echte Blockchain-Projekte auf der Ethereum-Blockchain oder einer Version der Bitcoin-Blockchain für politische Zwecke nützlich sein könnten, erscheint mir nicht plausibel. Man sollte sich fragen, was das Problem ist, dass man zu lösen versucht. Die Blockchain-Leute fragen sich oft: "Wofür kann ich diese Technologie verwenden?" Das ist der falsche Ansatz. Die richtige Frage ist immer: "Hier ist das Problem, wie kann ich es lösen?" So entsteht gute Technologie.
    Gerade das Thema Wahlen wirft auch eine interessante technisch-politische Frage auf, denn die Menschen, die hinter der Blockchain stehen, lieben es auf die technischen Merkmale der Blockchain hinzuweisen und darüber zu sprechen. Ganz so, ob sie alles definieren würden, was auf der Welt passiert. "Du brauchst kein Vertrauen mehr." Das ist einer ihrer Lieblingssprüche, denn die Computer in der Blockchain müssen sich nicht gegenseitig "vertrauen". Die Computer wissen alle, dass sie die Wahrheit sagen. Aber das sagt nichts über die Person aus, die die Software benutzt.
    Es muss eine Schnittstelle zwischen dem Rest der Welt und der Blockchain geben. Diese Schnittstelle wird manchmal als das "Orakelproblem" bezeichnet – je mehr behauptet wird, was die Blockchain alles tun kann, desto größer wird dieses Orakelproblem. Wie stellen Sie beim Thema Wahlen sicher, dass die Person, die die Stimme abgegeben hat und in der Blockchain gespeichert wird, die Person ist, für die sie sich ausgibt? Das ist ein klassisches Identifikationsproblem. Es kann nicht allein mit einer Blockchain gelöst werden. Mindestens eines der Unternehmen, die an diesem Thema arbeiten, ist der Meinung, dass die Gesichtserkennungstechnologie der richtige Weg ist. Du gehst in die Wahlkabine und sie scannen dein Gesicht und dann wird über die Gesichter von allen, die wahlberechtigt sind, Buch geführt. Das klingt nach einer Dystopie. Besonders wenn man sich Leute ansieht, die sich tatsächlich mit Wahltechnologie beschäftigen – die sagen, dass sich am besten Low-Tech eignet, die nicht gehackt werden kann, am besten Papierakten. Das funktioniert großartig. Welches echte Problem wird dieser hochgradig technische Ansatz also lösen?

Keith A. Spencer ist Cover-Redakteur bei Salon und leitet den Bereich Wissenschaft, Technik und Gesundheit.  "Dieser Artikel erschien erstmals auf Salon.com. Eine Online-Version verbleibt im Salonarchiv. Nachdruck mit Genehmigung."


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