Wie viele Menschen sind im Syrien-Konflikt gestorben? Wie viele haben ihre Heimat verlassen? Das Leid von Menschen in Zahlen zu bemessen, ist wichtig für Organisationen und Politik, um Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig können sie aber auch irreführen.

200.000 versus 470.000: Die Schätzung der Todesopfer des Syrien-Konflikts könnten wohl kaum weiter auseinander liegen. Die weite Spanne macht deutlich, wie unübersichtlich die Lage ist.

Nachdem vier ihrer sechs Quellen keine Informationen mehr zur Verfügung stellten, hörte die UN 2014 auf, Schätzungen zu veröffentlichen: Falsche Zahlen suggerierten eine Kenntnis, die man nicht besitzt – da sei es besser, offen damit umzugehen, keine validen Informationen zu haben.

Denn Zahlen haben Macht: die Zahlen der Todesopfer beispielsweise, wurden unter anderem herangezogen, um zu „beweisen“, welche Kriegspartei die schlimmere ist.

Welchen Einfluss Zahlen auf politische Diskussionen haben, unterstreicht auch der Umgang mit Flüchtlingsstatistiken: Mehr als fünf Millionen Menschen verlassen Syrien. Wenn alle nach Europa kämen, wird 'unser' Kontinent dann muslimisch? Ohne die Millionen in ein Verhältnis zu setzen, klingen fünf Millionen für manche Menschen nach besorgniserregend viel – eine Angst, die von rechten Politikern geschürt wird.

Ins richtige Verhältnis gesetzt

Setzt man die fünf Millionen jedoch ins Verhältnis mit den vorhandenen Europäern – 500 Millionen – wird schnell klar, dass sich der Kontinent nicht in einen muslimischen verwandeln wird. Tatsächlich steigt der Anteil der Muslime in Europa nur um ein Prozent: von vier Prozent auf fünf Prozent.

In dem Wettbewerb darum, welches Land am meisten Flüchtlinge aufgenommen hat, wird Deutschland oft positiv hervorgehoben für die Zusage 800.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Gemessen an der Bevölkerung hat Schweden jedoch mehr Anträge genehmigt: Pro 100.000 Einwohnern hat Schweden 2014 rund 300 Asylanträge angenommen, Deutschland hingegen nur rund 50.

In derselben Diskussion, steht Saudi-Arabien regelmäßig in der Kritik: als Land „das keinen einzigen Flüchtling aufgenommen hat“. Dass Saudi-Arabien in der UN-Flüchtlingsstatistik nicht auftaucht, liegt daran, dass das Land die Genfer Konventionen nicht unterschrieben und das Konzept des Flüchtlingsstatus nicht anerkannt hat. Ohne diesen expliziten Status hat das Land jedoch sehr wohl Menschen aus Syrien aufgenommen: rund 2,5 Millionen.

Schicksale statt Zahlen

Zahlen einfach nicht mehr zu erheben, um Missverständnisse, Missbrauch und Verzerrungen zu vermeiden, ist aber auch keine Option: Politiker und Hilfsorganisationen sind auf sie angewiesen um Entscheidungen zu treffen. Wie viele Hilfsgelder werden benötigt? Wie vielen Menschen muss in humanitäre Einsätzen geholfen werden? Wie kann eine „gerechte“ Verteilung der Flüchtlinge innerhalb von Europa aussehen?

Schließlich können Zahlen auch helfen, eine Diskussion ins Positive zu drehen: so argumentierten die Ministerpräsidenten mehrerer Bundesländer, dass die Flüchtlinge keine wirtschaftliche Bürde, sondern ein Gewinn sind. Langfristig helfen sie, den Fachkräftemangel auszugleichen und eine alternde Gesellschaft zu stabilisieren – jeder Euro, den man jetzt in Flüchtlinge investiere, zahle sich aus. Studien zeichnen dasselbe Bild etwa für Großbritannien, die Türkei und den Libanon.

Ob positiv oder negativ ausgelegt: Bei der Diskussion um Zahlen, gerät ein Aspekt oft in den Hintergrund: Am Ende steckt hinter jeder vermeintlich nüchternen Ziffer in einer Statistik ein Schicksal.