Spätestens seit dem Vorstoß des sogenannten Islamischen Staates (IS) auf die irakische Stadt Mossul im Juni 2014 hat die Aufmerksamkeit für den IS stark zugenommen. So sehr, dass US-Präsident Obama in seinen letzten Amtstagen die Zerschlagung des IS zu seiner „top priority“ erklärt hat. Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei ausländischen Rekruten, sogenannten „Foreign Fighters“, zu. Nicht nur in der öffentlichen Debatte, auch von Seiten der Politik wird vor Freiwilligen, die sich dem IS anschließen, gewarnt: US-Präsident Obama, das Europaparlament, die UN und die Bundesregierung haben sich des Problems angenommen. Da stellt sich die Frage, inwiefern ausländische Freiwillige tatsächlich Einfluss auf den Verlauf des Krieges haben?
Islamisten, Kommunisten und Söldner kommen, um zu Kämpfen
Spätestens mit den „arabischen Afghanen“, also arabischen Freiwilligen im Afghanistankrieg der 80er, die anschließend an anderen Konflikten etwa in Bosnien teilnahmen, wurden islamistische Freiwillige zu einem Faktor in der Politik des Nahen Ostens. Sie brachten militärische Erfahrung, Gewaltbereitschaft und eine hohe Mobilität mit. Während sie zu Akteuren in Folgekonflikten wurden, blieb ihre Rolle im Afghanistankrieg umstritten. Die 5-20.000 Freiwilligen im Gesamtzeitraum blieben wohl hauptsächlich im zivilen Bereich aktiv, versorgten Verwundete und kümmerten sich um die Infrastruktur. Weltweit haben sich bis zu 30.000 islamistische Freiwillige an Konflikten beteiligt, machen in den einzelnen Konflikten aber nur bis zu 5 Prozent der Kämpfer aus.
Die Anzahl der Freiwilligen in Syrien wird auf ähnliche Dimensionen wie in Afghanistan geschätzt, auch wenn die Zahlen noch stark schwanken. Bedenkt man, dass die USA die Gesamtzahl der IS-Kämpfer auf bis zu 35.000 schätzen, würden schon einige Tausend Freiwillige einen signifikanten Teil der Soldaten darstellen. Und der IS profitiert nicht als einzige Gruppe von ausländischen Freiwilligen – linke und kurdische Freiwillige unterstützen die Peshmerga, Islamisten unterstützen die Nusra Front, Abenteurer und Söldner sollen sich unter anderem schiitischen Milizen und dem syrischen Staat angeschlossen haben. Sind die ausländischen Kämpfer also entscheidend?
Die wenigsten Freiwilligen nehmen wohl an Kampfhandlungen teil
Ungeklärt ist bislang, welche Rolle ausländische Kämpfer in den jeweiligen Gruppen spielen. Von Söldnern und Veteranen früherer Konflikte abgesehen, sind speziell die Freiwilligen aus Europa oft konfliktunerfahren. Sie sprechen wenig bis kein arabisch, sie haben meist keine militärische Erfahrung, und nicht selten bringen sie wenig eigene Ausrüstung mit. Die wenigen Berichte und Interviews mit einzelnen ausländischen Kämpfern bestätigen diesen Eindruck: Ausländische Freiwillige werden oft nicht in Kampfeinheiten eingesetzt, sondern in Propaganda-Einheiten. Dort bringen sie Fähigkeiten mit, die ihnen im Kampf fehlen, wie ihre Sprachkenntnisse und ihre Anschlussfähigkeit an Jugendliche, die sich von der IS-Ideologie überzeugen lassen könnten.
Im Konflikt selbst sind ausländische Kämpfer bislang weniger durch „traditionelle“ Rollen, wie den Bodenkampf, aufgefallen. Sie zeichnen sich vielmehr durch eine besondere Bereitschaft zur Durchführung von Selbstmordattentaten aus. Von 700 Ausländern, die zwischen 2006 und 2007 in den Iraq reisten und sich Aufständischen anschlossen, wurden beispielsweise knapp die Hälfte als Selbstmordattentäter zitiert und nicht als reguläre Kämpfer. Der IS scheint verstärkt auch auf fremdsprachige Brigaden zu setzen, diese fördern aber auch Konflikte innerhalb der Organisation.
In einer Studie transnationaler Konflikte stellt Kristin Bakke vom University College London fest, dass ausländische Kämpfer Aufständische sogar schwächen können: Obwohl sie wertvolle Ressourcen mitbringen, können sie die Akzeptanz in der Bevölkerung verringern und interne Streitigkeiten verstärken. Dabei bezieht sie sich auf den Tschetschenien-Krieg, in dem der Anteil von Veteranen unter den Freiwilligen recht hoch war; unerfahrene europäische Freiwillige in Syrien könnten noch weniger Vorteile mitbringen, bei den selben Nachteilen.
Wie aktuell ist das Problem?
Sie warnt jedoch gleichzeitig: Die Schwäche militanter Gruppen kann Friedensprozesse verzögern und den Konflikt für die Zivilbevölkerung blutiger werden lassen. Dazu kommt die Gefahr durch Heimkehrer, die Terroranschläge in ihren jeweiligen Heimatländern planen. Auch darum befasst sich die EU mit Rückkehrern, ebenso wie die meisten nationalen Regierungen und Sicherheitsbehörden.
Unter anderem als Ergebnis der internationalen Maßnahmen hat die Anzahl neuer Freiwilliger offenbar drastisch abgenommen. Da überrascht es auch nicht, dass die Anzahl der IS-Kämpfer zurückgegangen sein soll. Und bei den Rückkehrern bestehen ernsthafte Zweifel, wie groß die Gefahr von Anschlägen ist: Viele wollen vor Ort bleiben, und nach früheren Konflikten mit vielen Freiwilligen, wie in Afghanistan oder Bosnien, konnte kaum eine Zunahme terroristischer Aktivitäten festgestellt werden.
Problematischer als Freiwillige ist vielmehr die strategische Ausrichtung des IS. Niederlagen im Feld könnten Terroranschläge begünstigen – diese sind vergleichsweise günstig, lenken von Misserfolgen ab und können auch von Laien durchgeführt werden. Auch für den Krieg in Syrien kann das heißen, dass der IS die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung verschärft. Dies alles lässt sich aber nicht verhindern, indem Sicherheitsbehörden weltweit ihre Kompetenzen erweitern; ein umfassender Friedensprozess mit allen Akteuren wäre nötig. Bisher gibt es dafür aber wenig Hoffnung.