Wo es früher wenige hundert Energie-Anbieter gab, sind heute millionen im Spiel – Strom fließt nicht länger nur von den Anbietern zu den Verbrauchern, sondern auch umgekehrt. Das stellt die Netzbetreiber vor große Herausforderungen. Josef Wagner von der LEW gibt einen Einblick.
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Durch zahlreiche neue Spieler im Energiemarkt (private Haushalte mit PV Anlagen etc.) ändern sich die Anforderungen an die Netze. Wie kann man sich die neuen, technischen Herausforderungen vorstellen?
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Die Energiewende findet vor allem im ländlichen Raum statt. Mehr als 90 Prozent der nach dem erneuerbare Energien Gesetz (EEG) geförderten Anlagen speisen in die regionalen Stromnetze ein. Deutschlandweit gehört LEW zu den zehn Verteilnetzbetreibern mit der höchsten installierten regenerativen Erzeugungsleistung. Die Netze werden damit zur Plattform eines dezentralen Energiesystems. Sie übernehmen zunehmend die Aufgabe, den Strom von den Erzeugungsanlagen auf dem Land zu den städtischen Verbrauchszentren und zur Industrie zu transportieren.
Damit steigen auch die Anforderungen an den Netzbetrieb. Immer häufiger müssen wir den in Bayerisch-Schwaben regenerativ erzeugten Strom ins bundesdeutsche Übertragungsnetz zurückspeisen, weil er nicht vollständig in der Region verbraucht wird. In 2015 war dies im Schnitt an jedem dritten Tag der Fall. In der Spitze lag diese Rückspeisung bei rund 1.000 Megawatt, annähernd die Leistung eines Blocks des Kernkraftwerks Gundremmingen. An anderen Tagen beziehen wir Energie aus dem Übertragungsnetz.
Die Kapazitätsreserven in unseren Netzen sind weitgehend ausgereizt. Darum müssen wir Leitungen verstärken und erweitern. Immer häufiger sind auch grundlegende Netzrestrukturierungen erforderlich. Die Investitionen in unser Netzgeschäft bewegen sich seit Jahren auf hohem Niveau, allein 2015 flossen rund 80 Millionen Euro in die Infrastruktur.
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Welche Schritte gehen die Energieanbieter, um diesen neuen Anforderungen Lösungen entgegen zu stellen?
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In Bayerisch-Schwaben haben die erneuerbaren Energien schon heute einen Anteil am Stromverbrauch der Endkunden von rund 60 Prozent. Das liegt an den vielen PV-Anlagen und an der leistungsfähigen Wasserkraft an Lech und Donau. Damit erreicht unser Netzgebiet schon jetzt den Wert, den die Bundesregierung für Deutschland bis 2035 vorgesehen hat. Mit dem bloßen Zubau erneuerbarer Energien ist es jedoch nicht getan. Denn: Ihre Erzeugung richtet sich nun mal nicht nach dem Stromverbrauch – sondern nach dem Wetter.
Wichtig sind nun zwei Dinge: Erstens müssen wir das Netz weiter ausbauen, national und regional. Zweitens wollen wir die nächsten Schritte beim Umbau des Energiesystems gehen und die Weichen für die Zukunft stellen. Wir sollten Erzeugung, Netz und Verbrauch nicht isoliert betrachten. Gefordert ist der ganzheitliche Blick. Im Energiesystem der Zukunft dürften Digitalisierung, intelligente Vernetzung sowie Flexibilisierung und Steuerung des Verbrauchs eine zentrale Rolle spielen. Diese Themen wollen wir angehen.
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Welche technischen Komponenten, (Neu)Entwicklungen und/oder Maßnahmen sind notwendig, um den Herausforderungen zu begegnen?
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Was den Netzausbau angeht: Hier halten wir Maßnahmen auf allen Spannungsebenen für erforderlich. Vor Ort, in den Kommunen, um die dezentralen Erzeugungsanlagen ans Netz anzuschließen. Dazu gehört aber auch, verstärkte Stromverbindungen zwischen den Kommunen – in der Mittelspannung – oder zusätzliche Verknüpfungspunkte zwischen den Spannungsebenen zu schaffen, um die Energie abtransportieren zu können. Das gilt auch für die Verbindungen zwischen unserem regionalen Verteilnetz und dem europaweiten Übertragungsnetz.
Neben dem konventionellen Netzausbau erproben wir neue Technologien in der Praxis, etwa an Pilotprojekten zur Automatisierung der Netzsteuerung. Wir untersuchen auch, wie neue Technologien dazu beitragen, dass erneuerbare Energien besser vor Ort genutzt werden können, statt den erzeugten Strom hin- und her zu transportieren. Diesen Ansatz verfolgen wir zum Beispiel im Projekt ePlanB in Buchloe. Dort erproben wir ein intelligentes Lademanagementsystem für den Pendlerverkehr. Wir wollen das Laden der E-Autos so steuern, dass möglichst viel des vor Ort erzeugten Öko-Stroms genutzt und das Ortsnetz beim Laden möglichst gleichmäßig belastet wird. Energiespeicher und Flexibilisierung des Verbrauchs sind wichtige Säulen in unserem bayern- und bundesweit vielbeachteten Projekt Smart Operator in Schwabmünchen. Die Smart-Operator-Steuerung verschiebt den Verbrauch der Haushalte in jene Zeiten, in denen die lokalen PV-Anlagen viel Strom erzeugen. Als Folge ist der Strombezug der Siedlung aus dem regionalen Mittelspannungsnetz zurückgegangen.
Solche Ansätze verfolgen wir weiter. Ziel ist, den Umbau des Energiesystems effizient und zukunftssicher zu gestalten
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Ergeben sich gesellschaftliche Herausforderungen?
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Wir halten es für erforderlich, dass Wirtschaft, Politik und Bürger ein gemeinsames Verständnis vom Ziel haben, das unser Land mit der Energiewende verfolgt. Beim Umbau des Energiesystems lassen sich einige Konfliktlinien erkennen. Zum Beispiel der Leitungsbau, aber auch der Ausbau der erneuerbaren Energien selbst, zum Beispiel der Windkraft oder der Biomasse. Auch die ökonomische Dimension der Energiewende hat gesellschaftliche Auswirkungen. Deutschland hat eine starke industrielle Basis, die für viele Arbeitsplätze steht. Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Energie sind für den Produktionsstandort von zentraler Bedeutung. Dabei ist der Anteil von Steuern und Abgaben am Strompreis für Industriebetriebe in Deutschland im europäischen Vergleich mit am höchsten.
Das Thema Strompreise treibt auch viele Privathaushalte um. Mehr als die Hälfte des Strompreises machen heute die staatlichen Steuern und Abgaben aus. Seit der Liberalisierung der Strommärkte ist die Höhe der Kosten für Energiebeschaffung, des Vertriebs und der Netzentgelte praktisch unverändert geblieben, inflationsbereinigt sogar gefallen. Die Höhe der Steuern und Abgaben hat sich dagegen vervielfacht.
Den größten Posten bei den Steuern und Abgaben macht die EEG-Umlage aus, 2016 werden bundesweit geschätzt rund 25 Milliarden Euro an Betreiber von EEG-Anlagen ausbezahlt. Durch das Umlageverfahren wird die Summe im Wesentlichen von Stromverbrauchen getragen. Der Umbau des Energiesystems sollte als gesamtgesellschaftliches Vorhaben verstanden werden. Dafür braucht es klare Rahmenbedingungen und die notwendige Unterstützung von Seiten der Politik.
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Was ist der Unterschied zwischen Netzbetreibern und Energieanbietern? Welche Rolle hatten die Netzbetreiber noch vor ein paar Jahren?
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Bis zur Liberalisierung des Strommarkts 1998 gab es keine Trennung zwischen Netzbetrieb und Stromvertrieb, die Betreiber der Stromnetze waren gleichzeitig Energieanbieter für die Kunden. Weil es gesamtwirtschaftlich keinen Sinn macht, Stromnetze parallel aufzubauen, gab es deshalb keine Wahlfreiheit für Kunden.
Mit der Trennung von Netzbetrieb und Stromvertrieb 1998 wurde in Deutschland die Voraussetzung für Wettbewerb im Strommarkt geschaffen. Die Netzbetreiber sind seitdem ausschließlich zuständig für den sicheren Betrieb des Stromnetzes. Sie bieten jedem Energieanbieter gleichberechtigt Zugang zu ihrem Netz. Privatkunden haben heute an ihrem Wohnort in der Regel die Wahl zwischen hunderten verschiedenen Stromprodukten von Dutzenden Anbietern. Auf die Einhaltung der Marktregeln achtet die Bundesnetzagentur. -
Welche Veränderungen hatten Netzbetreiber in ihren Geschäftsmodellen in den letzten Jahren? Welche kommen noch?
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Neben dem Ausbau der Netzinfrastruktur ist die Entwicklung und der Einsatz „smarter“ Technologien sowie die dazu erforderliche Kommunikationsinfrastruktur eine wichtige Aufgaben der Verteilnetzbetreiber um das immer dezentraler werdende Energiesystem zukünftig zu managen. Neben der Systemintegration der dezentralen Erzeugung halten wir auch das Management von Erzeugung, Verbrauch, Bereitstellung von Systemdienstleistungen (Blindleistung) sowie die Systemintegration von elektrischen Speichersystemen für eine zukünftige Aufgabe und Herausforderung für die Verteilnetzbetreiber.
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Wie sieht das klassische Geschäftsmodell eines Netzbetreibers aus? Wie wird Geld verdient? Wird das so bleiben?
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Basis sind die Netzentgelte, die von den Stromvertrieben für jede Kilowattstunde, die sie an Kunden in dem Netzgebiet verkaufen, an den Netzbetreiber entrichtet wird. Neben dem verbrauchsabhängigen Arbeitspreis gibt es pro Netzkunden auch einen festen monatlichen Grundpreis. Im Verhältnis zwischen Grund- und Arbeitspreis gab es bei vielen Netzbetreibern in den letzten Jahren Veränderungen: eine höhere Energieeffizienz und ein wachsender Anteil an Eigenversorgung führen in der Tendenz zu geringeren Stromabgabemengen im Netz pro Anschluss. Über die Anhebung des Grundpreises und Absenkung des Arbeitspreises soll ein Ausgleich hergestellt werden, damit auch in Zukunft eine faire Verteilung der Netzkosten zwischen den Verbrauchern sichergestellt ist. Von einem zuverlässigen Stromnetz profitieren schließlich alle Netzkunden. Eine wichtige Rolle spielt die Bundesnetzagentur: Sie gibt den finanziellen Rahmen vor, mit dem die einzelnen Netzbetreiber arbeiten. Dabei wachsen die Anforderungen an die Effizienz der Netzbetreiber.
Zur Erreichung der energiepolitischen Ziele sind Investitionen in den Ausbau der Netzinfrastruktur unerlässlich. Der effiziente, bedarfs- und zukunftsorientierte Netzausbau ist auch wirtschaftlich abbildbar. Notwendig sind aber klare und belastbare Rahmenbedingungen für die erforderlichen langfristigen Investitionen.
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Wie kommen die Netzentwicklungspläne zustande und wie wird der Bundesbedarfsplan anschließend von den Netzbetreibern in den Einzelschritten umgesetzt?
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Die Übertragungsnetzbetreiber Regelmäßig erarbeiten einen gemeinsamen Netzentwicklungsplan Strom (NEP) auf Basis eines von der Bundesnetzagentur (BNetzA) genehmigten Szenariorahmens. Er beschreibt eine wahrscheinliche Entwicklung der Energiewirtschaft. Der NEP enthält alle Optimierungs-, Verstärkungs- und Ausbauprojekte im deutschen Höchstspannungsnetz, die nötig sind, um die Energien von morgen sinnvoll zu transportieren und ein stabiles Netz zu gewährleisten. Die Übertragungsnetzbetreiber stellen Entwürfe ihrer Netzentwicklungspläne auch zur öffentlichen Diskussion, passen sie bei Bedarf an und übermitteln sie anschließend an die Bundesnetzagentur. Diese führt erneut eine öffentliche Konsultation durch und bestätigt auf deren Basis den NEP und den O-NEP.
Weitere Informationen in diesem Video:
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Große und neue Überlandleitungen sind in der Bevölkerung unbeliebt – der Ausbau dieser verursacht Proteste. Wie gehen Netzbetreiber damit um?
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Die Verteilnetzbetreiber managen einen wichtigen Teil der Energiewende. Klar ist dabei: wesentlicher Erfolgsfaktor bei der Umsetzung ist Akzeptanz. Die Anforderungen und Erwartungen der Bürger sind dabei in den vergangenen Jahren gewachsen. Entsprechend steigt der Stellenwert von Kommunikation bei Netzbauprojekten. Wir haben eine Reihe von Informations- und Beteiligungsformaten entwickelt, um die Menschen vor Ort zu informieren und einzubinden. Dies sind neben der klassischen Medienarbeit Instrumente wie Nachbarschafts-Newsletter, Bürgersprechstunden oder Tage der offenen Türen. Transparenz spielt eine Schlüsselrolle. So können wir es schaffen, die erforderlichen Schritte beim Umbau des Energiesystems gemeinsam mit den Menschen vor Ort zu gehen.
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Welche Chancen bietet die Energiewende den Netzbetreibern?
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Deutschland hat sich mit der Energiewende ein sehr ambitioniertes Projekt vorgenommen. Es geht um mehr als den Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Ziel ist ein Systemwechsel der gesamten Energielandschaft. Er muss auch die Bereiche Wärme und Verkehr umfassen. Nur so können die klimapolitischen Ziele der Politik erfüllt werden, Stichwort Dekarbonisierung. Der elektrischen Energie kommt dabei eine Schlüsselrolle zu: Strom ist das Medium, mit der wir die Kopplung der verschiedenen Energiesektoren erreichen können. Eine Wärmepumpe kann Strom als Wärme speichern. Oder denken sie an die Elektromobilität – beim Einsatz von regenerativ erzeugten Strom ist sie die logische Fortsetzung der Energiewende auf der Straßen. Das Energiesystem der Zukunft ist elektrisch, man spricht von der all electric world. Als Manager so eines hochkomplexen Systems kommt uns Netzbetreibern dabei eine entscheidende Aufgabe zu.