Zuwanderung, Globalisierung und Wirtschaftskrise verändern die Einstellung der Menschen zu Europa und ihrem Heimatland — sei das Deutschland, Österreich oder Frankreich. Aus Angst sie würden ihren bisherigen Lebensstandard verlieren, verfängt die Rhetorik rechter Parteien, die einfache Erklärungen und Schuldige bietet. Sozialwissenschaftler Julian Aichholzer erklärt im Interview die Mechanismen hinter Populismus.

Angst, Verlierer, Populismus

Warum gerade der linke und rechte Rand an Macht gewinnt

Julian Aichholzer forscht als Sozialwissenschaftler an der Universität Wien. Er befasst sich vor allem mit der politischen Einstellung und Verhalten von Menschen und damit, wie gut man beides in Umfragen erfassen kann. Derzeit arbeitet er an der Europäischen Wertestudie mit, die über ganz Europa hinweg Werte, Einstellungen und Meinungen der Bürger zu Leben, Familie, Arbeit, Religion, Politik und Gesellschaft erfasst.

  • Der Kontext: Was ist Populismus?
  • Julian Aichholzer: Populismus wird meines Erachtens nach gegenwärtig häufig gleichgesetzt mit den rechtspopulistischen Parteien. Das ist aber nicht notwendigerweise dasselbe. Populismus meint generell erst einmal so etwas wie eine Dichotomie, eine Gegenüberstellung von dem Volk und seiner – meist noch korrupten – Elite. Populistische Parteien glauben, den Kernwillen des Volkes und zwar des einzig wahren Volkes zu vertreten. Dadurch entsteht eine negative Konnotation, denn erstens wird eine normative Wahrheit beansprucht und zweitens bedeutet diese Sichtweise eine Art Exklusion. Jeder, der anders denkt oder nicht Teil des Volkes ist, wird per Definition ausgeschlossen.

  • Kann man denn sagen ob populistische Parteien tendenziell eher links oder rechts ausgerichtet sind?

  • Aktuell würde ich sagen haben die populistischen Rechtsparteien den Sieg davongetragen. Aber die letzten Jahre mit Wirtschaftskrise und Sparpolitik in der EU haben dazu beigetragen, dass auch Linksparteien wieder stärken werden. Beispiele dafür sind Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien. Diese Länder unterscheiden sich auch insofern, dass sie wirtschaftlich schlechter aufgestellt sind als Länder wie Deutschland oder Österreich wo die Rechtsparteien hinzugewinnen.

  • Kann man links- und rechtspopulistische Parteien unterscheiden anhand der Politik, die sie verfolgen, zum Beispiel Flüchtlingspolitik oder Umweltpolitik?

  • Rechtspopulistische Parteien stehen auf der sogenannten soziokulturellen Achse auf der restriktiveren Seite, Anti-Zuwanderung ist sicher das wichtigste Kriterium, auch bei Wählern. Sie sind gegen EU, aber bei Wirtschaftsthemen sind sie nicht einheitlich. Bei den linkspopulistischen Parteien wiederum, hat man dieses klassische, sozialistische pro Sozialstaatbild, teils sogar stark gegen EU- und Sparpolitik, tendenziell liberaler was die Zuwanderungsebene betrifft oder auch Werthaltungen und Lebensstile.

  • Auf welches Motiv geht die Ablehnung der EU jeweils zurück? Nationalismus und wirtschaftliche Bedingungen?

  • Was man beobachten kann, ist, dass insbesondere das Zuwanderungsthema und Pro/Anti EU recht stark miteinander einhergehen. In Griechenland und Spanien zeigen manche Studien, dass das Pro/Kontra EU eher stärker mit dieser Wirtschaftsdimension zu tun hat, das unterscheidet sich also national.

  • Ist denn die Wirtschaftspolitik in beiden Fällen auf Protektionismus ausgelegt?

  • Schon, aber in verschiedenen Dimensionen. Bei rechten Parteien ist es dieses Nationalprotektionistische „für unsere Leute“. Bei den linken Parteien ist es protektionistisch im Sinne des starken Sozialstaats, der starke Sicherheit und geschützte Bereiche schafft und möglicherweise die Menschen auch vor der Globalisierung schützen soll. Also da haben beide eine Gemeinsamkeit.

  • Zu anderen Politikfeldern, wie beispielsweise Umwelt- oder Sozialpolitik, hört man eher wenig von den Populisten. Haben sie trotzdem ein Programm für diese Bereiche oder ist da tatsächlich wenig Substanz dahinter?

  • Wenig Programm und meist auch wenig Substanz. Bei Sozialpolitik ist noch etwas mehr Inhalt vorhanden, jedoch meist wieder in Verbindung mit dem Zuwanderungsthema, bspw. „wie wollen wir Arbeitslosigkeit/Sozialausgaben senken? – indem wird Ausländer und Zugewanderte benachteiligen“, der so genannte „Wohlfahrtschauvinismus“. Das sind keine Themen, mit denen sie auftreten und die sie besetzen wollen. Das sind schlichtweg Themen, die keine Wählerstimmen bringen also die ihr Programm nicht vorantreiben. Warum also Energie darauf verschwenden klar Position zu beziehen? Umfragen zeigen, Wähler trauen ihnen hier keine Kompetenz zu und deswegen spielt das schlichtweg kaum eine Rolle.

  • Wer sind denn die Wähler rechtspopulistischer Parteien?

  • Also was schon stimmt, ist, dass die Wähler tendenziell etwas geringere Bildung oder einfache Ausbildungen haben oder sie gehen eben unqualifizierter Arbeit nach. Tendenziell sind die Wähler jünger, entweder recht junge, also unter 30 Jahre oder dann wieder ältere umso 65+, wo dann beide Faktoren kombiniert auftreten. Also diese Mischung aus geringerer Bildung, aus einer anderen Generation stammend und auch eine gewisse Inflexibilität, was neue Zuwanderung, Multikulturalismus betrifft, also das kombiniert sich da ein bisschen. Auch gibt es auffällige Muster, dass tendenziell mehr Männer rechtspopulistische Parteien wählen. Da gibt es noch gar nicht so klare Erklärungen dafür, warum das denn so ist. Denn wenn man sich ansieht, ob sich Männer und Frauen unterscheiden in der Haltung gegenüber Zuwanderung zum Beispiel, gibt es nicht so starke Unterschiede. Aber es gibt dann immer noch so eine Art Resterklärung, dass Männer der überwiegende Wähleranteil sind. Das kann jetzt unterschiedliche Gründe haben, aber das ist jetzt einmal die soziostrukturelle Wählerschaft, würde ich sagen, die man generell vorfindet, über alle, also auch über Länder hinweg. Was mit dieser soziokulturellen These einher geht ist diese Loosers-of-Modernity, also die Modernisierungsverliererthese. Die besagt genau: die Wählerschaft sind eben einfache unqualifizierte Arbeitskräfte mit tendenziell geringer Bildung, bspw. junge auch mittelalte Männer, die ehemals sichere Jobs hatten, jetzt eben nicht mehr und damit sozusagen diese Verlierergruppe. Darum stellen sie das Gros der Wählerschaft dar. Das wäre eine These. Eine andere These geht weg von diesen rein soziostrukturellen Merkmalen, hin zu Unterschieden in Werthaltungen. Die haben sich gewandelt, eben durch die starke Globalisierung oder Europäisierung, starke Zuwanderungen. Heute pocht man daher mehr auf zugeschriebene Merkmale der Herkunft und das hat natürlich einen Moment der Exklusion; soll heißen, die ursprüngliche Bevölkerung hätte der Argumentation folgend ein Vorrecht auf Jobs und Ressourcen in einer Gesellschaft.

  • Stecken da auch Ängste hinter diesem zweiten Erklärungsversuch, dass Globalisierung als Bedrohung wahrgenommen wird?

  • Ja, diese Ängste gibt es und man sollte sie auch nicht runterspielen. Es ist legitim, dass jemand Angst hat vor Zuwanderung oder Sorge um immer stärkere Abgabe von Politiksteuerung an die EU-Institutionen, der Verlust der eigenen Souveränität. Das sind so die bekannten Erklärungsmuster. Das, was wir gerade beobachten, ist, dass diese Sorgen und Ängste von populistischen Parteien ausgenutzt oder schlichtweg ventiliert werden.

  • Also ist das Eingehen auf Ängste schon auch bewusstes Programm der Populisten, um Wählerstimmen zu bekommen?

  • Ich glaube schon, dass versucht wird, dieses Moment auszunutzen und politische Themen ganz stark über Emotionen zu spielen. Sich das zunutze zu machen ist, was rechte Parteien gut schaffen. Gleichzeitig ist das etwas, was man jetzt den Herrschenden, Regierenden, Eliten vorwerfen kann, manche Themen eben auszusparen und Ängste, jetzt wie beim Zuwanderungsthema, nicht offen anzusprechen. Wo gibt es da vielleicht Probleme, Ängste, die man wahrnehmen sollte? Da wird oft rumgeeiert, also man hat da auch Angst die Angst anzusprechen: wie gehen wir jetzt um damit? Weil man sich damit auf jeden Fall auch unbeliebt machen kann.

  • Die Welt ist nun mal durch die Globalisierung und Modernisierung komplexer geworden. Und ein echter Realpolitiker muss vermutlich irgendwann zugestehen „das können nur noch Experten verwalten“, während Populisten im Kontrast vermeintlich einfache Lösungen anbieten?

  • Ja, gerade rechtspopulistische Parteien oder auch linkspopulistische bieten natürlich einfache Lösungen an. Man kann in Schwarz-Weiß-Malerei viele Probleme vermeintlich schnell klären. Also, wenn ich alle Ausländer abschiebe, dann ist ein vermeintliches Problem gelöst, aber ob das jetzt realistisch funktioniert, ist natürlich eine ganz andere Frage. Wie man mit Komplexität umgeht, was Politik und internationale Politik betrifft, da sollte der Anspruch sein, auch schwierige Probleme so herunter zu brechen, dass das für die Bevölkerung nachvollziehbar ist. Also es muss ja nicht jeder Politiker selbst ein Experte sein, sondern man schart ja üblicherweise seine Beamten um sich.

  • Wie kommt man überhaupt noch an die Wähler rechtspopulistischer Parteien heran, auch in der wissenschaftlichen Forschung?

  • Das ist in der Tat schwierig, an die Wähler am extremeren Rand und auch quantitativ in einem Umfang heranzukommen, der Umfragen relevant macht. Da spielt der Aspekt der vermeintlichen sozialen Erwünschtheit eine große Rolle. Da haben Befragte quasi Angst davor, ihre Meinung öffentlich vor dem Interviewer zu machen, mit dem Hintergedanken, dass ihre Ansichten nicht erwünscht sind und sie sie darum nicht offen aussprechen könnten. Und gleichzeitig gibt es so eine Angst vor dem sogenannten Establishment: „Ich vertrete halt nicht die Mehrheitsmeinung, drum sage ich es nicht“. Ein anderer Aspekt ist, dass man bspw. in Telefonumfragen im Vergleich zu Internetumfragen sehr unterschiedliche soziostrukturelle Gruppen erreicht. Also man hat zum Beispiel am Telefon ein Problem junge Menschen zu erreichen. Das ist jetzt aber eine bedeutende Zielgruppe dieser Parteien, die dann erstmal in solchen Umfragen fehlt. Internet-Umfragen können da gegensteuern, sodass wir in der Wissenschaft viele verschiedene Wege kombinieren, um eine gute Mischung abzubilden.

  • Ab welcher Größe in der Umfragegruppe würden Sie denn sagen, dass man davon ausgehen kann, einen Querschnitt der Bevölkerung abzubilden und Aussagen treffen zu können, wieviel Prozent in die eine oder andere Richtung wählen?

  • Die Größe der Umfrage macht gar nicht so viel aus. Was zentral ist – und das ist ein Problem vieler Umfragen – ist die Repräsentativität. Damit meint man konkret, hat man wirklich eine gute Stichprobe aus der Zielpopulation, die man erreichen möchte und die Zielpopulation ist, theoretisch gesehen, in dem Fall die gesamte wahlberechtigte Bevölkerung in einem Land. Jetzt ist die Frage, sind Internet-Umfragen dafür geeignet? Tendenziell nein, weil sie schon ein Ausschnitt sind aus der Gesamtbevölkerung, schließlich hat nicht jeder einen Internetanschluss. Also das ist schon mal eine selektive Auswahl, sprich das Kriterium der Repräsentativität ist weniger gut erfüllt. Das ist bei persönlichen oder Telefonumfragen eher der Fall, da hat man zumindest theoretisch einen guten Auswahlrahmen, also eine Liste aller Personen, die man erreichen möchte. Der Punkt ist also, ich möchte immer eine Zufallsstichprobe haben mit möglichst exakter Repräsentativität, sprich die Population, die ich eigentlich erreichen möchte. Wie viele das letztendlich sind, das ist nicht so zentral. Es stimmt aber natürlich, je größer die Stichprobe, desto präziser werde ich, also desto genauer kann ich Aussagen machen.

  • Gibt es schon Beobachtungen welche Strategien Mainstream-Parteien im Umgang mit Populismus fahren?

  • Was man sehen kann – und da darf man zweifeln, wie erfolgreich das ist –, dass die Mitte-Rechts-Parteien versuchen ein bisschen mitzugehen, im Sinne von „wir übernehmen auch eine restriktivere Zuwanderungspolitik, fahren hier ein bisschen schärfer und hoffen damit die Wähler der rechtspopulistischen Parteien zurück zu holen“. Ich glaube, dass nur der Versuch dahingehend nachzuahmen, nicht so erfolgreich ist, wie ernsthafte und langjährige Positionierung auf diesen Themen und das haben die rechtspopulistischen Parteien definitiv geschafft, sich da stark zu positionieren.

  • Ist Populismus denn immer nur schlecht?

  • Ja also ein Argument wäre, dass Themen von diesen Parteien artikuliert werden, die vielleicht sonst nicht zur Sprache kämen. Berechtigte Ängste, die sonst vielleicht weitgehend verschwiegen werden, kommen so an die Öffentlichkeit und werden diskutiert. Das kann jetzt sein, Zuwanderung oder zu starke Zuwanderung, wenn man das so nennen mag, oder die Politik in der EU, sei es jetzt Sparpolitik oder die immer weitere Erweiterung von Kompetenzen von europäischen Institutionen. Und ich würde sagen, insofern war es etwas Positives. Bei anderen Themen kann man drüber streiten ob es jetzt der Öffentlichkeit gut tut, wenn man ständig gegen Ausländer und Muslime wettert, aber es wird jedenfalls aufgegriffen. Es muss schlichtweg mehr öffentlich diskutiert werden.

  • Gibt es in einer Gesellschaft Faktoren, die Populismus befördern?

  • Ich würde sagen es gibt einen Raum für Parteien, die extremere Positionen aufgreifen, der sonst eben nicht eingenommen wird. Also wird ein Platz genutzt, den sonst keine andere Partei so recht betritt. Und das kann immer wieder der Fall sein, sobald neue virulente Themen in einer Gesellschaft entstehen. Das kann das Thema Zuwanderung sein, wie jetzt im aktuellen Diskurs, aber es kann auch etwas anderes sein. Wirtschaftliche Krisen sind immer ein zuverlässiger Nährboden. Weil das eher langfristige Themen sind, können populistische Parteien auch langfristig davon profitieren, im Sinne von sie können eine gewisse Wählerschaft abgreifen und Wahlerfolge daraus erzielen.

  • Sind Populisten undemokratisch?

  • Naja, bis zu einem gewissen Grad ja. Wenn man sagt, es gibt einen Anspruch auf moralische Richtigkeit von einer Meinung und Position, also „wir sind und wir vertreten das Volk, wir sagen was richtig ist und was die geltende Meinung ist“ geht das immer einher mit dem Ausschließen anderer Meinungen oder anderer Gruppen und darum würde ich sagen grundsätzlich zieht Populismus ein Problem von demokratischer Qualität nach sich.